Mittwoch, 15. Februar 2012

Stadtteilprojekt Sonnenland


Wer dem diplomierten Sozialökonom Anatol Herold (53) zuhört, kommt unweigerlich zu der Erkenntnis, dass Leidenschaft, und das hat er, Leiden schafft. Denn was Anatol Herold und seine Helfer täg­lich erledigen, ist mit Verlaub, ein Fulltimejob. Aber er macht es nur so nebenbei, denn von irgendetwas muss auch ein Ehren­amtlicher leben. Wobei “nebenbei“ ganz sicher der falsche Ausdruck ist. Denn das “Stadtteilprojekt Sonnenland e.V.“ ist mittlerweile so umfangreich, dass allen Beteiligten das oben genann­te Wort völlig abhanden gekommen ist.

Seit 1967 gibt es dieses Stadtteilprojekt. Anfänglich allerdings “nur“ als “Student hilft Rocker e.V.“. Daraufhin schlossen sich einige Eltern des Bezirks Sonnenland zusammen und meinten, dass doch auch etwas für Kinder aus der Gegend getan werden müsste. Kurzer Hand wurde der „Rocker“-Verein in “Verein Studentische Jugendhilfe“ umbenannt, später in “Verein Soziale Jugendhilfe“, kurz VSJ, und wurde damit ein Projekt für  das Gemeinwesen. Einige Studenten schnappten sich damals einfach die Jugendlichen aus dem Gebiet Sonnenland, unter auch anderem Anatol Herold und haben kurzer Hand auch mal das KZ-Neuengamme besucht. So etwas nannte man “Abenteuerpädagogik“.

Zu der Zeit stieß auch Jürgen Wolff als Jugendlicher dazu, der sich, genau so wie Anatol Herold, später für das VSJ, das Anfang des neuen Jahrtausends in “Stadtteilprojekt Son­nen­land e.V“ umbenannt wurde, en­gagierte und als ehrenamtlicher Koor­dinator fungierte. Im Zusammenhang des KZ-Besuchs haben damals alle Beteiligten mitbekommen, vor allem aber die Jugendlichen, dass in ihrem Gebiet hauptsächlich Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. „Auf einmal sahen wir unseren Bezirk mit ganz anderen Augen,“ so Anatol Herold, „und haben uns dann immer mehr mit dieser Gegend identifiziert.“ 

Man kann heute behaupten, dass die Geschichte in Form des KZ-Neuengammes sie gelehrt hat, dass Nationalsozialismus auf keinen Fall eine Renaissance erfahren darf. Und sie haben durch die Arbeit der Studenten erfahren, dass es sinnlos ist, die Hände in den Taschen zu vergraben und immer nur andere machen zu lassen. „Das hätte mich irgendwann gekillt,“ so Anatol Herold weiter. „Aber Schul­arbeiten und Ausbildung waren für mich die Hölle. Ich wollte immer nur raus, mit Freunden zusammen sein. Später, nach meiner Berufsaus­bildung, hatte ich es begriffen. So konnte es nicht weiter­gehen kann. Ich sah das Engagement der Studenten und wollte auf einmal zu ihnen gehören. Holte meine Mittlere Reife nach und studierte Sozialökonomie.“

Das Engagment aller VSJ-Beteiligten wurde immer größer. Es wurden unter anderem El­tern- und Frauengruppen gegründet, übrigens die ersten in Ham­burg, die sogar heute noch aktiv sind. Heute natürlich mit anderen Teil­nehmern. Und damit wurde Sonnen­land immer interessanter. Für alle, auch für Künstler und Architekten. Später sorgte der Verein auch noch dafür, dass die SAGA neue Fenster einbaute und die Treppenhäuser sanierte, die teil­weise in einem desolaten Zustand waren.

Seit 1970 zahlte die Stadt die ersten Zuwendungen, die sich bis 2007 peau á peau auf 360.000 Euro erhöhten. Von heute auf morgen allerdings strich das Bezirksamt Mitte alle Mittel. Der Verein stand kurz vor der Pleite. Viele, „zum Teil höchst unangenehme Gespräche“, so Herold, der mittlerweile zum Vereinsvorstand aufgestiegen war, mussten mit dem damaligen Leiter des Bezirkamtes und weiteren Politikern der SPD, geführt werden. Die Gründe wurden nie genannt. „Es hieß von Leuten,“ so Anatol Herold, „dass wir keine adäquate Jugendarbeit leisten könnten.“

Claudia Deppermann, die sich sehr für Billstedt engagiert, recherchierte in den Behörden und bekam viele verschiedene Aussagen von Mitarbeitern zu hören, die aber nicht genannt werden wollten. „Wir aber wollen nicht zurück-, sondern,“ so Jürgen Wolff, „nach vorn schauen.“

Der Retterrat, bestehend aus Anatol Herold, ihm und vielen anderen Bürgern Sonnenlands, hatten erst einmal die Arbeit der nun nicht mehr bezahlbaren und damit gekündigten Sozialpädagogen übernommen. Förderer wurden gesucht und gefunden. Mittlerweile gibt es auch wieder Geld vom Bezirk. 40.000 Euro im Jahr. Eine lächerliche Summe, die fast allein schon für die Miete aufgebracht werden muss. Schreiber und Gefolgsleute gestanden damit ein, dass im  “Stadtteilprojekt Sonnenland e.V.“ doch gute Arbeit geleistet wurde und immer wird. Sogar Preise wurden gewonnen, wie zum Beispiel 2008 der zweite Platz der Bürgerstiftung für „Jugend engagiert sich“, 2009 der zweite Platz des Stadtteilpreises der Mopo/PSD-Bank und 2010 dann der erste Preis der Bürgerstiftung Ham­burg, für die kreativste Nachbarschafts­hilfe mit dem Untertitel: Wir mischen uns ein.



„Wir haben uns aber nicht nur eingemischt,“ so Anatol Herold, „sondern immer auch den Dialog gesucht, damit unsere Arbeit weitergeführt werden kann. Die ist wichtig. Denn fünf Tage offene Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 21 Jahren, dazu vier Tage Hausauf­gabenhilfe für Grundschüler und bei Bedarf auch für Jugendliche, die alle auch noch einen Imbiss bekommen, dann unsere HipHop-Gruppen, be­stehend aus 50 Jugendlichen, unser E- und klassischer Gitarrenunterricht, unsere Jungs- und Mädchengruppen, für die wir jeweils gemeinsame Aktivi­täten veranstalten, um deren Entwick­lung zu verbessern und fördern zu können, unsere Line-Dance für Kinder und Jugendliche, oder das Kochen mit Kindern. All das darf nicht einfach nicht mehr stattfinden.“

Dann zählt Jürgen Wolff weitere Aktivitäten auf: „Im Sommer veranstalten wir auch Kanufahrten, oder treiben einmal die Woche Sport, meistens mit Bällen. Wir führen aber auch Gewaltprävension durch, bieten Sozialberatung und Schuldenregulierung für Erwachsen an. Zudem umfangreiche Ferienprogramme verbunden mit Reisen, sofern Geld vorhanden ist und nicht zu vergessen unsere Sonnenland-Tafel, die wir zweimal die Woche für 60 bis 70 Personen veranstalten.“

„Die finanziellen Zuwendungen des Bezirks bekommen wir aber nur für die Jugendarbeit,“ so Anatol Herold, nachdem er wieder zu Luft gekommen war. Aber Mitte des Jahres sollen die Fördermittel aufgestockt werden. Warten wir es ab. Auf alle Fälle ist dieses Projekt höchst Zuwendungswür­dig. Da kann man nur hoffen, dass sich auch noch weitere Förderer für diesen Verein finden werden. Verdient haben sie es allemal.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen