Erst in der Woche vor den bundesweiten
umFAIRteilen-Kundgebungen am 29. September kam die Mobilisierung richtig ins
Rollen. Letztlich wurden es in Hamburg 7000, die sich an einer Menschenkette
ums Rathaus und anschließender Kurzdemonstration beteiligten. Anschließend gab
es eine zu lange Kundgebung, und Geldsäcke wurden symbolisch vorm Rathaus
abgelegt. Als dann der medial zum Bürgerschreck aufgebaute Alex Tsipras endlich
sprach, waren schon viele gegangen – die meisten wegen des Regens, lediglich
grüne Parteigranden wollten sich eine andere Meinung als die eigene nicht
anhören.
Einerseits wurden die Erwartungen der VeranstalterInnen
bezüglich der TeilnehmerInnenzahl übertroffen. Andererseits sind 7000 Menschen
bei einem so breit getragenen Aufruf und bei der Dringlichkeit, gegen die
ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung
auf die Straße zu gehen, nicht viel. Auffällig waren das Fehlen vieler sozialpolitischer
Initiativen sowie die geringe Beteiligung von Jüngeren und von MigrantInnen.
Sie fühlten sich von dem Bündnis, das v.a. von schwerfälligen Verbänden,
Parteien und Gewerkschaften getragen wird, augenscheinlich kaum angesprochen.
Dominierend auf der Kundgebung waren natürlich Forderungen
nach mehr Besteuerung von Vermögen. Aber auch viele konkrete Kürzungen wurden thematisiert, beispielsweise die Jugendhilfe mittels der „Schuldenbremse“. Und immer
wieder wurde der SPD-Senat ins Visier genommen. Kein Wunder, dass die Hamburger
SPD anders als die Grünen nicht den Versuch unternahm, hier mitzumischen und
sich ein soziales Mäntelchen trotz ihrer Kürzungspolitik umzuhängen. In
etlichen Flugblättern, auf Transparenten und Schildern wurde auch darauf
hingewiesen, dass die Ursache der sozialen Misere nicht eine zu geringe
Besteuerung der Reichen ist, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem.
Vielen gingen die Forderungen des umFAIRteilen-Bündnisses nicht weit genug.
Sozialer Protest oder Fiskalpolitik?
Sozialkürzungen werden immer mit der Behauptung begründet,
dass dafür kein Geld mehr vorhanden sei. Deswegen steht die Frage, bei wem sich
der Staat das Geld holen soll, das er für Sozialausgaben benötigt, im
Vordergrund von umFAIRteilen. Geld kann eingetrieben werden, wenn die
Regierenden es nur wollen – so die Kernaussage. Dieser Schwerpunkt auf
Steuerfragen reicht aus mehreren Gründen nicht aus:
Zum Ersten nimmt er
den PolitikerInnen die Behauptung klammer Kassen zunächst einmal ab. Dem
gegenüber ginge es darum deutlich zu machen, dass es sich bei der Ausgabe von
Staatsgeldern um eine Verteilungsfrage und damit eine der politischen
Machtverhältnisse handelt. Der Sozialabbau wird nicht von den „leeren Kassen“
erzwungen, sondern ist politischer Wille der unterschiedlichen Regierungen der
letzten Jahrzehnte. Damit erübrigen sich auch die moralischen Appelle an die
Verantwortlichen, „fairer“ zu regieren.
Zum Zweiten geht es nicht nur darum, dem Staat mehr Geld in die Kassen zu spülen, sondern auch darum, seine Ausgaben zu kritisieren, wie zum Beispiel den Militärhaushalt und die Milliardensubventionen
für deutsche Unternehmen.
Drittens aber ist es
nötig, die Maßnahmen, durch die so vielen Menschen das Leben erschwert wird, in
den Vordergrund zu rücken.
Wie könnte es weiter gehen?
Es könnte ein Forderungskatalog aufgestellt werden, der
beispielhaft die Rücknahme der wichtigsten staatlichen Maßnahmen, die sich
gegen die Bevölkerung richten, verlangt, zum Beispiel der Rente mit 67 und ihrer
Kürzung von 51 Prozent auf 43 Prozent des letzten Einkommens, der Zuzahlungen bei
Medikamenten und der Praxisgebühr, von 1-Euro-Jobs und Hartz IV und, und, und.
Regional könnte dieser Katalog ergänzt werden. In Hamburg läge es nahe, ein
Einfrieren und Zurückdrängen der stark gestiegenen Mieten zu fordern, oder zu
zeigen, wie staatliche Stellen selbst an der Niedriglohnschraube drehen.
Dies würde das ganze Ausmaß der Angriffe auf die sozialen
Leistungen ins Blickfeld rücken. Es böte den zahlreichen Initiativen, die sich
mit den konkreten Auswirkungen der Sparpolitik auseinandersetzen,
Anknüpfungspunkte zur Beteiligung. Außerdem würde es den Agenda 2010-Parteien
ein Mitmachen, um das soziale Image aufzupolieren (2013 sind
Bundestagswahlen!), sehr viel schwerer machen.
Insgesamt ist es dringend nötig, in der Kritik der
politischen EntscheidungsträgerInnen deutlicher zu werden und herauszustellen,
in wessen Interesse sie agieren. Das wird das umFAIRteilen-Bündnis in seiner
jetzigen Zusammensetzung nicht wollen. Daher wird wahrscheinlich ein antikapitalistischer Block
bei der nächsten größeren Kundgebung oder Demonstration unvermeidlich sein.
Eine Bedeutung kann die Kundgebung vom 29. September 2012 nur
erlangen, wenn sie der Auftakt zu einer neuen sozialen Bewegung ist. Wie den
Unternehmern durch Arbeitskämpfe höhere Löhne abgetrotzt-, so können dem Staat
soziale Verbesserung aufgezwungen werden. Beides braucht entschlossenen und vor allem geschlossenes Handeln.
Noch aber kommt von den Benachteiligten dieser
Gesellschaftsordnung viel zu wenig Widerstand. Aber zumindest hat sich mal ein
leises Stimmchen von „unten“ zu Wort gemeldet.
Der Versuch uns so klein wie möglich zu halten, wird nichts nützen. Die nächste Veranstaltung wird noch größer, noch bunter und noch lauter werden. Sicher.
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