Donnerstag, 13. Oktober 2011

Billstedt/Horn: Gestern, heute, morgen


Die Behauptung einiger böser Menschen, der liebe Gott erschuf Billstedt und Horn im Zorn, ist eher eine schnöde Assertion denn ein gelungener Reim, der vor allem der Wahrheit noch nicht einmal nahe kommt. Ganz im Gegenteil, denn Billstedt ist eine aus dem Jahre 1928 von Menschen erschaffene Zusammenlegung der Dörfer Kirchsteinbek, Öjendorf und Schiffbek, die allesamt schon im 13. Jahrhundert das erste Mal ur­kundlich erwähnt wurden.

Der Standort des Ortes Schiffbek beispielsweise, das sich durch den Bau einer Jutefabrik schon 1883 vom Dorf zu einem soge­nannten Arbeiterwohnort entwick­elte, ist heute das Zentrum Bill­stedts. Dass Schiffbek sich damals schon zu einem Arbeiterwohnort ent­wickelte, begründet sich durch die Beschaffung neuer Wohnungen für die Gehilfen, Handwerker und -langer,  bei der die Jutefabrik sozu­sagen selbst tatkräftig voranging. Die Firmenleiter des Werkes ließen damals praktisch parallel zum Fabrikbau die sogenannten Spinnhäuser an der Möllner Landstraße bis zur Billstedter Hauptstraße erstellen.

Ganz im Gegensatz zu heute sie­del­ten sich früher immer mehr In­dus­­triebetriebe im späteren Bill­stedt an. Nachdem die Jutefabrik schon höchst erfolgreich in Schiff­bek tätig war, folgten schnell unter anderem eine che­­mische Fabrik und eine Gum­mifabrik. Dazu ge­sell­ten sich noch eine Seilerei, ein Sägewerk und ei­ne Farb­holzmühle. Aber auch eine Eisenfabrik wurde dort ansässig, die unter anderem die Förderkörbe und Torver­schlüs­se für den alten Elbtunnel fertigte.

Der Name dieses damals neu gegründeten Ortes Billstedt bezieht sich übrigens auf den Fluss Bille, der südlich dieser drei Dörfer die Gemeinde begrenzt und bei ihrer Zusammenlegung 2154 Einwohner zählte. In Hamburg eingemeindet aber wurde Billstedt erst 1937. Ku­rioserweise gab es auch ei­nen Be­zirk, der sich Kamerun nannte. Die Geschichte dazu ist nicht belegt, denn alle Unterlagen sind im Woermannhaus der Reederei Woermann, ehemals größte Privat­reederei der Welt, die unter an­de­rem auch Handel mit Kamerun be­trieb, verbrannt. Doch ein Urenkel der Familie, Heinrich Woermann, vermutet, dass seine Großmutter das Gebiet Öjendorf um 1912 kaufte und den Siedlern zu Neben­erwerbs­zwecken zur Verfügung stellte. Dazu wurden den Siedlern derzeit günstige Hypotheken zum Hausbau vergeben. 1948 ist noch ein letzter Siedler und Hypo­the­ken­zahler in Billstedt belegt. Spä­ter wurde dort die Großwohn­sied­lung Kaltenbergen gebaut. Be­vor jedoch der erste Spatenstich er­folgen konnte, musste allerdings erst einmal die riesige Müllhalde, die zu dieser Zeit noch zuhauf um Hamburg herum entstanden und auf der sich unzählige Tier­kadaver und gesunkene Schiffsladungen bedingt durch die Sturmflu­tkatas­tro­phe 1962 befanden, eingeebnet werden.

Mümmelmannsberg, der aus dem Nichts erbaute Stadtteil am Rande der Boberger Dünen, folgte 1970.

Das im Urstromtal der Elbe lie­gende Horn dagegen wurde im Ge­gensatz zu den Dörfern die Bill­stedt begründeten, erst 1306 das erste Mal urkundlich erwähnt. Nach vielen Unruhen und Kriegen – die französischen Besatzer planten dieses schöne Gebiet sogar als Schussfeld gegen die anrück­enden russischen Truppen nieder­zubrennen – doch waren diese schneller als geplant, und so konnte die Region glücklicherweise vor den Flammen gerettet werden. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde Horn dann ein Ort, man lese und staune, der Ruhe und des Geldadels mit wunderschönen Land­häusern und ausgedehnten Gar­tenanlagen, von denen heute leider nichts mehr zu erkennen ist.

1833 gründete der lutherische Pastor Johann Hinrich Wichern, übrigens ein Anhänger der pietistischen, mit anderen Worten, der intensivierten, vertieften Erweckungsbewegung, in einer von Karl Sieveking zur Verfügung gestellten Strohdachkate an der Grenze zu Hamm, das “Rauhe Haus“. Es wurde das Rettungshaus für ob­dachlose Großstadtkinder.

Der alte Ort Horn, der Name be­deutet übrigens “Vorsprung“,  lag damals ungefähr bei der heutigen Straße Bauerberg. Zum Vorort Hamburgs erhoben wurde das Dorf dann im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und 1894, also über 40 Jahre früher als Billstedt, der auch damals schon schönen Stadt an der Elbe eingemeindet.

Ganz im Gegensatz zu Billstedt ist Horn auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Begründet durch das Derby, das alljährlich tausende von Menschen aus aller Welt an­zieht. Aber natürlich auch durch den Horner Kreisel, dem größten Kreisverkehr Hamburgs, an dem praktisch kein Autofahrer vorbe­i kommt, sofern er die Stadt auf dem kürzesten Weg von Nordosten kommend besuchen will. Zudem symbolisiert er den Anfang der A24, die Hamburg mit Berlin verbindet.

Zu Horn gibt es aber auch noch mindestens ein Gedicht, dass wir auf der Interetseite der Horner Geschichtswerkstatt fanden und Ihnen nicht vorenthalten möchten:

Es war, dass ich am Millerntor
jüngst einen Kamm aus Horn verlor.
Nicht Eppendorf, nicht Barmbek, Hamm,
oh nein, er war aus Horn der Kamm.
Ich nahm den Hintergrund aufs Korn,
wieso ist so ein Kamm aus Horn ?
Schon wollte ich nach Horn hinfahren,
da dacht ich mir, das kannst du sparen.
Ein Kamm aus Horn, so fiel mir ein,
braucht gar kein Kamm aus Horn zu sein.
Es reicht, wenn er aus Horn gemacht,
und als ich dieses dann bedacht,
da kaufte ich ganz frei von Zorn
in Wandsbek einen Kamm aus Horn.

In den beiden Stadtteilen leben derzeit rund 110.000  Menschen, wobei Billstedt allein zirka 70.000 Einwohner zählt, von denen knapp 50 Prozent einen Migrationshinter­grund aufweisen.
Für besser situierte, alteingesessene und auch neu hinzugezogene Bewohner Hamburgs, gelten diese Stadtteile als eher nicht erstrebens­wert. Mehr als Quartiere in denen Menschen zweiter Klasse leben. Mit anderen Worten: Die sich bessere Viertel nicht leisten kön­nen.

Das ist natürlich dummes Zeug und völlig unsinnig. Auf­klärung ist da gefragt. Aber vor­sichtig! Nicht alles verraten, sonst ergeht es den Hornern und Billstedtern so wie den St. Paulianern, die sich ihren Stadtteil heute zum großen Teil auch nicht mehr leisten können.

Doch wie begründet sich der schlechte Ruf Billstedts und Horns? Waren es die Behörden, die es nicht wollten oder nicht verstanden haben, den Strom der Spätaussiedler nach dem Fall der Mauer auf ganz Hamburg zu verteilen? Oder waren es die, die es sich einfach gemacht haben, in dem sie die meisten Aussiedler nur in Billstedt, Hamm und Horn, Lurup oder Wilhelmsburg ansie­delten und dadurch eine Neo­ghettoisierung haben entstehen lassen? Vielleicht. Vielleicht aber haben es die Billstedter und Hor­ner auch nur nicht verstanden, ihre Stadtteile so zu präsentieren, wie sie sind. Nämlich durchaus lie­bens­­- und lebenswert. Trotz aller Probleme wie zum Beispiel das städtebauliche Erscheinungsbild und soziale Ungleichgewicht, die zum Teil sehr verschmutzten Stra­ßen und Wege und hohe Arbeits­losenquote. Doch diese Unannehmlichkeiten haben Billstedt und Horn nicht allein. Von daher wäre es doch viel klüger, wenn die Bürger mehr die positiven Seiten ihrer Stadtteile hervorheben wür­den, denn davon gibt es genug. Vielen Grünflächen, die Nähe zu Boberg, die zentrale Lage, die im Vergleich zu ganz Hamburg noch “fairen“ Mietpreise, die vielen Kleingärten und der zum Teil sehr dörfliche Charakter, der in Kirch­steinbek noch zu erkennen ist. Um nur einige zu nennen.

Das alles ist den Behörden bekannt, und deswegen liegt seit 2008 ein Entwicklungskonzept vor, das beschreibt, wie die beiden Stadtteile in den nächsten zehn bis 15 Jahren an Lebensqualität gewinnen und besonders für Familien attraktiver werden sollen. Dazu wurden Billstedt und Horn in folgende sieben Teilgebiete geordnet, die mit Priorität bearbeitet werden. Mike Neschki

Teilgebiete:

Schiffbeker Berg-Legiencenter-Washingtonring
Jenkelweg-Archenholzstraße
Steinfurther Allee-Kaltenbergen
Horner Geest
Mümmelmannsberg
Zentrum Horn
Zentrum Billstedt

Was bisher geschehen ist und wie die Zukunft der Teilgebiete aus­sehen wird, können Sie in den weiteren Folgen über die Quartiere lesen. 

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