Donnerstag, 27. Oktober 2011

Mümmelmannsberg


Geht es um Müm­­mel­manns­berg, ent­gleisen den meisten Hambur­gern die Ge­sichts­zü­ge. Lach­fält­chen wer­den zu Sor­genfalten, Mund­­winkel fangen an zu zittern und fallen nach un­ten. Schnell werden dann so unqualifi­zierte Sät­ze formuliert, wie: „Da möch­te ich nicht be­graben sein“, oder: „Wer da lebt, ist doch schon tot“.

Ganz im Gegensatz zu den Bür­gern, die dort wohnen. Die sagen voller Überzeu­gung: „Ich fühle mich hier wohl.“ Oder: „Mümmel­manns­berg? Wunder­bar!“ Wa­rum sagen sie es? Weil es ihr Quartier ist, und weil hier bei­spiels­weise keine Au­tos brennen. Das ist ein nicht zu unterschätz­ender finanzieller Vorteil. Zudem grenzt im Norden die Glinder Au an Mümmel­mannsberg, im Osten Ha­vig­horst mit seinen Feldern und Wäl­dern und im Sü­den die Bober­ger Dünen. Alles Fuß­läufig innerhalb einer viertel Stun­de zu er­reichen. Und deshalb folgt oft mit einem Achselzucken die Nach­frage: „Was will der Mensch mehr?“ Die Fra­ge ist be­rechtigt. Ge­nauso wie die Feststellung: „Wir haben hier doch alles.“
Nichts desto Trotz stand irgend­wo geschrieben, dass Mümmel­manns­berg der vergesse­ne Stadtteil Ham­burgs  ist, in dem es nur Aldi, Lidl und Ross­mann gibt. Wahnsinn. Selbst wenn es so wäre, würde es reichen, doch zum Glück war es falsch recherchiert. In der Tat gibt es infra­strukturell kei­nen of­fenen Wunsch. Ein Kino wäre viel­leicht noch ganz schön, meinen einige, da aber Mümmelmannsberg eine ei­gene U-Bahn-Station besitzt, mit der auch die Cineasten bequem zum nächs­ten Lichtspielhaus fahren könn­ten, ist dieser Wunsch nicht zwangsläufig vor­herr­schend. Zu­dem führt die B5 direkt an die­sem Stadtteil vorbei, und wenn man aufmerk­sam lauscht, hört man sogar die Auto­bahn. Die ist mit einem Fahrzeug auch nur eine Minu­te entfernt. „Auf der sind wir,“ so wurden wir aufgeklärt, „eine halbe Stun­de später an der Ostsee,“ und: „Das alles soll uns ein anderer Stadtteil erst einmal bieten.“

Leider aber eilt diesem Quartier, ge­nau­so wie Bill­stedt insge­samt, der schlechte Ruf voraus. Warum das so ist, kann aus heutiger Sicht kaum noch jemand logisch erklären. Gut, es gibt da die eine oder andere ge­wagte These. Eine wäre vielleicht die Pres­se, die immer wieder mal schlecht über dieses Quartier be­richtet und dabei gern die Stadtteile ver­wech­selt. Da benachrichtigt bei­spiels­weise ein großes Online-Portal seine Leser darüber, dass in Müm­melmanns­berg die Kriminali­tät außer Kontrolle ge­raten ist und schreibt im gleichen Satz, dass die Polizei sogar eine 16-köpfige Son­derkommision “Sonnen­land“ ins Leben gerufen hätte. Die Mitar­beiter des Portals verga­ßen aller­dings zu erwähnen, dass die Straße Sonnenland, nach­dem die Soko be­nannt wurde, in Kirch­steinbek liegt und nicht in Mümmelmanns­berg. So ein faux pas darf nicht passieren. Schlimm aber ist, dass auf einer anderen Internetseite heute immer noch der Bericht von Spiegel-TV über Mümmelmanns­berg ge­zeigt wird, der von der Wahr­heit so weit entfernt ist, wie der Inhalt auf den Seiten zwischen Titel und Rücken des Buches „Ich weiß alles“. Hin­ter­her, so gestanden die im Bericht gezeigten Jugendlichen der vorbildlichen Ganztagsstadtteilschule Müm­mel­manns­berg, dass ihnen Geld geboten wurde, um, nennen wir es einmal so, die Wahrheit nicht nur in leicht geän­der­ter Form darzu­stellen.

Kommen wir zu den Fakten. Müm­melmannsberg, das zwi­schen 1970 und 1979 auf 2,5 qkm in drei Bau­ab­schnit­­ten aus dem Bo­den ge­stampft wurde, besteht heu­te aus gut 7300 größeren und kleineren Woh­nun­gen und Appar­te­ments, in de­nen sich mittler­weile knapp 19.000 Menschen aller Alters­klas­sen zu Hause füh­len. Rund zwei­drittel aller Woh­nungen nennt die SAGA-GWG ihr Eigen. Den Rest tei­len sich die DHU (Deutsche Heim­stätten­union) und diverse Genossen­schaften. Das letzte große Bauwerk dieses Quartiers war die Endstation der U-2, das 1990 als “Bauwerk des Jahres“ ausgezeichnet wurde.
In diesem Zusammenhang wurden in M-Town, wie Mümmelmanns­berg auch gern genannt wird, die Kreisverkehre neu “erfunden“, so jedenfalls Ursula Groß, Abtei­lungsleiterin für inte­grierte Stadt­entwicklung des Fachamtes für Stadt- und Land­schafts­planung. Denn nachdem die Kandinskyallee für den Bau der U-Bahnstation kom­plett auf­gerissen werden muss­te, hatte man sich beim Neubau der Straße entschlos­sen, aus den ehe­maligen Kreu­zungen Kreis­verkeh­re zu erstellen.

Parallel zum Bau der U-Bahn und dem Umbau der Kandinskyallee, wurde Mümmel­mannsberg dann zum Sa­nierungs­gebiet erhoben. Dazu gehörte auch, dass diverse neue Sport- und Spielplätze ge- und umbaut und Kitas modernisiert wurden. Auch das Park­haus wurde zum Teil neu bebaut, die Ein­­gangszone der Seniorenanlage mo­dern­isiert, Plätze neu ge­staltet. Insge­samt über 50 Projekte wurden bis 2003 angegangen und realisiert. Ei­ne Mons­ter­leistung, die gern ge­nannt werden darf.

2005 wurde Billstedt-Horn bun­desweit als größtes Stadtteil­ent­wick­lungs­gebiet festgelegt. Und Mümmel­mannsberg gehört dazu. Das Leit­motiv dieses Ent­­wick­lungs­­raums lautet: Billstedt-Horn, gemein­sam vorn. Aber auch: 2020 gehören Billstedt und Horn zu Ham­burgs fami­lienfreundlichs­ten Stadt­tei­len. Hört sich prima an. Um das aber zu realisieren, sind natürlich auch die schon genann­ten Woh­nungsbaugesell- und Genos­sen­schafften gefragt. Dazu hat die SAGA/GWG beispielsweise Ende 2010 das zentrale Areal um das marode Einkaufs­zen­trum gekauft. Nun soll es endlich, nachdem schon diverse Besitzer diese Versprechen gege­ben hatten – wahrscheinlich hatten sie sich nur versprochen – für rund 30 Millio­nen Euro saniert werden. Weitere 100 Millionen Euro werden in die “Rettung“ des Be­zirks fließen. Man kann diesbezüglich nur hoffen, dass es nicht nur kurzfristige Schönheitskor­rekturen werden, sondern echte, nach­haltige Sanierungen.

Unabhängig der bis hier genannten Maß­nahmen, die allesamt sehr wichtig waren und sind,  gibt es in Mümmel­mannsberg natürlich auch Kultur in Form der “Kunst und Kulturtage“. Diese finden einmal im Jahr statt­. Ziel dieser Tage ist es, allen kunstinte­res­sierten Menschen in und um Hamburg ein vielfältiges Ange­­bot zu prä­sentieren und so den Kunst­schaffenden der ganzen Region eine Plattform zu bieten, auf der sie ihre Werke einem breiten Publikum vor­stellen können. Netter Nebeneffekt in Zukunft wird  sein, dass  Müm­mel­mannsberger den Men­schen, die nicht aus ihren Stadtteil kommen, endlich voller Stolz ihr Quartier vorstellen können. Neben der eigentlichen Aus­stellung aber finden dort auch Lesungen,  Performan­ces und Musikdarbietungen statt. Für jeden etwas. Tolle Sache. Überhaupt sind die Bürger dieses Stadtteils sehr kreativ. Das erkennt man an den vielfältigen Künstlerinitiativen, und gemeinnützigen Vereinen, die zu Hauf in Mümmelmannsberg aktiv sind. Aber auch Sportvereine wie der “MSV Hamburg“, „SC Europa“ und sogar ein Angelsportverein lassen sich dies­bezüglich nicht lumpen. Alles dreht sich, alles bewegt sich und das ist auch gut so. Denn Stillstand bedeutet in der Regel Rückschritt und zurück wollen die Mümmelmannsberger sicher nicht mehr. Nach vorne schauen lautet die Devise.

Fazit: Auffällig ist, dass immer noch nicht alle Billstedter zu ihrem Stadtteil stehen. Kirchsteinbeker kommen nach wie vor aus Kirchsteinbek und Öjen­dorfer aus Öjendorf. Bis alle Bewohner mit Stolz sagen, dass sie aus Billstedt oder Horn kom­men, bedarf es noch einer Menge Ar­beit. Von allen Seiten. Sehr viel ist schon auf den Weg gebracht worden, die Woh­nungsbau­gesell- und Genos­sen­schafften haben viel Geld in die Hand genommen, um zu sanieren. Aber auch von Ärzten, die gedanklich Billstedt oder Horn schon den Rücken zu keh­ren, weil hier zu we­nig Privatpatienten leben, wird erwar­tet, dass sie bleiben und helfen. Ge­nauso wie von den Einzel­händlern, der Industrie, groß oder klein, den Bürgern mit Migra­tions­hintergrund oder ohne. Ob jung oder alt. Egal. Alle müssen tätig werden, auch die, die im Moment noch nicht zu Billstedt stehen, weil der Ruf schlecht ist. Was aber können wir, die Bürger Billstedts und Horns tun? Groß und global zu denken ist das eine, das sollten wir aber den Bundes-Politi­kern über­­lassen. Der gemeine Bürger muss im Kleinen denken. Denn ganz viel Kleines ergibt auch etwas Großes. Dabei langt es schon, wenn wir alle für den täglichen Müll die dafür vor­gesehen Behälter benutzen und nicht einfach auf die Straße werfen. Wenn wir alle freund­­licher miteinander um­gehen, lächeln, wenn wir uns begrüßen, miteinander reden, uns engagieren für jung und alt. Nicht nur in den eigenen vier Wänden sitzen und stumpf in den Fernseher schauen. Die Augen nach links und rechts offen halten und auch mal dem Nachbarn helfen. Dann haben wir alle schon sehr viel gewonnen. Und das wollen wir doch, oder? In diesem Sinne.

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