Zu behaupten, die Flut am 16. Februar 1962 kam überraschend
und ist in ihrer Interpretation selbst 50 Jahre später genauso falsch wie auch
richtig. Denn sehr heftige Winde gab es auch schon in den Tagen zuvor. Aber
dass das Wasser so vehement in die Stadt gedrückt werden würde, war tatsächlich
extraordinär. Für alle. Vielleicht hätte man es am Himmel erkennen können. „Der
war so gelb,“ erzählte uns Liesa Haak aus Georgswerder, „dass es fast unheimlich
war.“
Fakt ist: Schon Tage vorher war die gesamte Nordseeküste
von einer schweren Sturmflut betroffen, und schon am 15. Februar, also einen
Tag vor der eigentlichen Katastrophe, wurde über Norddeichradio eine
Sturmwarnung der Stärke neun mit dem Hinweis vorausgesagt, dass möglicherweise
eine sehr gefährliche Sturmflutlage zu erwarten sei.
In den
Mittagsstunden des 16. Februar
drehte der Sturm dann auf Nord-West, drückte neues Wasser in die Elbmündung,
ließ das vorhandene aber gar nicht erst heraus. In Bremen und Hamburg entsprach
die gegen 20 Uhr eintretende Ebbe etwa dem normalen Tidehochwasser. Das hatte
zur Folge, dass die nachfolgende Flut auch auf Grund massiver baulicher
Unzulänglichkeiten die Deiche sprengte.
Aber nicht nur
die Deiche. In den Industriekanal in Billwerder Moorfleet beispielsweise, wurde
das Wasser so vehement hineingedrückt, dass am Ende des Flussbetts ein zehnmal
zehn Meter großes Loch gerissen wurde. Und von dort aus lief das Wasser auch
ins Landesinnere.
„Wir wurden
von meinem Schwiegervater geweckt,“ erzählte uns Walter Harnisch aus
Billstedt, der zu dieser Zeit mit seiner Frau Gerda unweit des Kanals in einer
20 qm kleinen Gartenlaube wohnte. „Abends hatten wir noch alle gemeinsam
“Familie Hesselbach“ gesehen, sind dann aber zeitig ins Bett gegangen.“ Seine
Frau Gerda ergänzt: „Das Klopfen meines Vaters an der Tür war kaum zu hören,
weil die Geräusche, die der Wind verursachte, unglaublich laut waren.“
Dass sie beide
von Gerdas Vater geweckt wurden war ihr Glück. Sonst hätten sie unter
Umständen zu den über 300 Menschen gehört, die in dieser Nacht auf tragische
Weise den Tot fanden. Gerdas Vater beobachtete nämlich schon den ganzen Abend
den Kanal. Als dann das Loch gerissen war, weckte er schnell seine Familie und
packte die wichtigsten Habseligkeiten zusammen. Dazu hatten Gerda und Walter
keine Zeit mehr. Sie ließen alles zurück, auch das Tonbandgerät, das Gerda von ihrem Walter zwei Wochen
zuvor zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. „Das Wasser schoss mit einer ungeheuerlichen
Geschwindigkeit an uns vorbei,“ erzählten die beiden, damals gerade 24 und
26 Jahre alt und frisch verheiratet, „das kann man sich überhaupt nicht
vorstellen. Wie ein horizontaler Wasserfall.“
Die ganze
Familie und alle weiteren Bewohner der Siedlung flüchteten zuerst auf die
Eisenbahnbrücke direkt am S-Bahnhof Billwerder Moorfleet. Den Rest der Nacht
verbrachten dann alle in der Schule Billbrookdeich. Dabei hatten sie noch
Glück im Unglück. Denn außergewöhnlich schwer betroffen war mehr das Unterelbegebiet,
wo vor allem der Stadtteil Willhelmsburg durch Deichbrüche in Mitleidenschaft
gezogen wurde; dort starben allein 315 Menschen.
Nach drei
Tagen sind Walter und Gerda zurück in ihre kleine Laube, um den Schaden zu
begutachten. „Alles war nass und zerstört,“ berichteten sie beide. „Wir hatten
dann in die Schränke geschaut, aber die Türen und Schubladen gleich wieder
verschlossen als wir das Durcheinander sahen. Das war ein Fehler.“ Durch die
Nässe quoll das Holz so auf, dass es später nicht mehr möglich war, die
Schränke zu öffnen. Beide waren verzweifelt, denn nun mussten sie auch noch den
einzigen Schrank den sie besaßen zerkleinern, um an ihr letztes aber nasses Hab
und Gut heranzukommen.
Ein Jahr lang
haben sie hinterher noch in ihrer Laube gewohnt, bis sie dann im Neubaugebiet Billstedt
Archenholzstraße eine schöne Wohnung bekamen, in der sie noch heute wohnen.
Seit nunmehr 49 Jahren. Und 4000 Mark Entschädigung, von denen sie sich dann
ihr erstes Auto gekauft haben, einen VW Käfer. So hat eine Katastrophe, wie in
diesem Falle, auch noch etwas Gutes bezweckt.
Der Senat aber
hat daraus gelernt, denn es ist nicht gewährleistet, dass Hamburg wieder so
einen Mann wie Helmut Schmidt, mit Selbstbewusstsein und Machtinstinkt,
hervorzaubern wird. Der ehemalige Oberleutnant und damalige Polizeisenator
beorderte nämlich kurzer Hand 8000 Bundeswehrsoldaten aus Heer, Luftwaffe und
Marine mit 82 Hubschraubern nach Hamburg, des Weiteren 4000 britische,
amerikanische und holländische Nato-Soldaten mit 19 Hubschraubern, 400 Mann
vom Bundesgrenzschutz, 1700
Feuerwehrleute, 2000 Mann vom Technischen Hilfswerk, 1000 DRK-Helfer
einschließlich 350 Mann vom Hilfszug Hessen, 640 Helfer anderer karitativer Organisationen, 2000 Mann
vom Bundesluftschutzverband, 400 Bereischaftspolizisten aus
Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie die gesamte Hamburger Polizei mit rund
5000 Beamten. Helmut Schmidt sagte dazu nur: „Sie sind mir nicht unterstellt
worden, ich habe sie mir genommen.“ Und keiner hatte es gewagt, diesem Mann zu
widersprechen. Helmut Schmidt hatte nur ein Ziel vor Augen: Hamburg zu
retten.
Mittlerweile
wurde für rund 600 Millionen Euro die gesamte Hochwas-serschutzlinie auf einer
Länge von zirka 100 Kilometern erneuert. Die Deiche, rund 80 Kilometer, wurden
von 5,70 Meter auf 7,20 Meter erhöht. Auf rund 20 Kilometer sind Schutzwände
errichtet worden. Die nächste Sturmflut kann also kommen, theoretisch. Besser
aber wäre, dass so ein Unglück nie
wieder passiert und Helmut Schmidt noch zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wird. Mike Neschki
Hallo, ich war als kleines Mädchen 1957 und 1958 in Billwerder bei Else und Richard Westphal als Berliner Ferienkind zu Gast. Ich verlebte zwei Sommer lang traumhafte Ferien und freundete mich auch mit dem Nachbarjungen Klaus Gacki an. Eine Weile stand ich in Briefkontakt aber nach der Sturmflut konnten meine Briefe niemanden mehr erreichen. Seitdem lässt mich der Gedanke an die Familien Westphal und Gacki nicht mehr los. Weiß jemand, was aus ihnen geworden ist? Waren auch sie unter den 300 Opfern?
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