
In der Einleitung unserer neuen Serie berichtete ich, wie sich die Vergangenheit von Billstedt und Horn gestaltete und habe die Frage gestellt, wie der schlechte Ruf der beiden Stadtteile entstehen konnte. Ich nannte unter anderem die Vermutungen, dass es eventuell an der Masse der Menschen mit Migrationshintergrund lag und dem eventuell daraus resultierenden sozialem Ungleichgewicht. Oder doch nur an der hohen Arbeitslosenquote, die ganz sicher nicht durch diese Menschen entstanden ist. Ganz nach dem Motto: Denkste an Arbeitslose, denkste an Billstedt und Horn.
Grundsätzlich, so meine ich, kann
die Frage nicht wirklich beantwortet sondern höchstens gemutmaßt werden. Gegen
den schlechten Ruf aber kann man etwas tun. Von Behördenseite wurde das
Problem erkannt und vor gut fünf Jahren entsprechend reagiert. Seit November
2008 liegt ein erarbeitetes Entwicklungskonzept für die beiden Stadtteile
vor. Es wurde »Billstedt.Horn – ganz weit vorn« genannt und danach mit
Priorität bearbeitet. In dieser Folge beschreibe ich, was im Quartier
Kaltenbergen/Steinfurther Allee bisher umgesetzt wurde, wie sich die Menschen
heute dort fühlen und welche Ziele noch verfolgt werden.

Sie zeigte mir einen kleinen
»Sportpark«, der sich vor einem richtigen Fitness-Centrum kaum verstecken
muss. Na gut, ein bisschen übertreiben darf man ja wohl. Dann aber sahen wir
die Bänke und Tische aus hochwertigem Holz und rostfreien Stahl, an und auf
denen man gerne sitzt und die für kleine Feiern für alle Bewohner dieses
Viertels gedacht sind. Aber natürlich auch einfach nur so als Treffpunkt für alle,
die nicht gern alleine in ihren vier Wänden verweilen wollen. Schön gemacht und
wunderbar anzusehen.
Der Agentur »raum + prozess«
wurde vom Bezirksamt Hamburg Mitte die Aufgabe übertragen, sich um die Menschen
dieses Standortes zu kümmern, sich die Sorgen und Nöte der Bürger anzuhören,
unter Umständen auch mal deeskalierend einzugreifen und gegebenenfalls die
von den Bewohnern gemachten Verbesserungs- oder Verschönerungsvorschläge
umzusetzen. „Der Park inklusiv des Seniorengartens war mit rund 900.000 Euro
natürlich ein sehr großes und aufwändiges Projekt, das von vornherein in der
Planung war,“ so Beate Hafermann, „aber wir haben auch ein Mini-Budget für die
kleinen Dinge des Lebens, wie für Bastelaktionen oder Ponyreiten für Kinder,
beispielsweise auf dem diesjährigen Frühlingsfest. Wir geben aber auch,
wenn es anliegt, Geld für ein Schachspiel dazu. Die Entscheidung darüber aber
liegt beim Quartiersbeirat.“

Dieter Kauczor, ein Mann wie ein
Baum, studierter Lehrer und früher auch mal Vorsitzender der Billstedter SPD,
erzählte uns, dass er in der »Kuhle« schon seit 1974 tätig ist und zum Beispiel
auch diesen imposanten Bauspielplatz,
auf dem wir uns befanden, mit aufgebaut hat. Und er engagiert sich bei der
Aktionsgruppe »Kinder und Jugendhilfe Kaltenbergen e.V.«, die 1974 gegründet
wurde. Die »Kuhle« ist ein verordnungsfreier Raum, und deshalb kann dort nach
Lust und Laune gebaut und gewerkelt werden. „Natürlich im Rahmen des Gesetzes,“
versichert er mir. Das eigentliche Ziel des Vereins ist, alle Kinder dieser
Gegend in Ausbildung zu bringen. Das ist eine heroische Aufgabe und kann nur
gelingen, wenn man den »Dreikäsehochs« schon vom Vorschulalter an langfristig
selbstständiges Handeln beibringt. „Wir bieten hier zum Beispiel überhaupt
nichts an,“ erklärt mit Dieter Kauczor, der übrigens von allen geduzt wird.
„Wenn aber ein Kind kommt und irgendetwas Sinnvolles bauen möchte, dann kann es
das hier realisieren. Dabei wird geholfen wo es nur geht. Aber es kann nicht einfach
hier erscheinen und sagen, dass es hier schlafen möchte. „Diese Bitte darf es
zwar äußern,“ versichert er mir, „aber dann muss es sich erst ein Haus bauen.
Ohne Haus geht es nicht. Man kann ja auch nicht einfach Kaninchen oder Hühner
haben wollen, ohne dass vorher ein Stall gebaut wurde. Wenn die Grundlagen geschaffen
sind, kann man über alles reden. Das ist wie im richtigen Leben.“
Ein Problem insgesamt ist, dass
viele Kinder dieser Gegend aus Hartz IV-Familien kommen. „Diese “Vererbbarkeit“
des Resignierens, der Einstellung, dass der Staat sich schon um »uns« kümmert,
müssen wir durchbrechen. Dann wird sich auch die Zahl der Hartz IV-Empfänger irgendwann reduzieren,“ so Dieter
Kauczor. „Und das werden wir schaffen. Das Schöne ist doch,“ erzählt er uns freudestrahlend
weiter, „dass mittlerweile schon der Nachwuchs meiner damaligen Jugendlichen
zu uns kommt. Das zeigt doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass sich
die Menschen hier wohl fühlen und bleiben.“
Das allerdings stimmt nur
bedingt, denn wer es von den deutschen Bürgern beruflich und gesellschaftlich
geschafft hat, zieht in eine “bessere“ Gegend. Nicht alle aber viele. Die Menschen
mit Migrationshintergrund dagegen bleiben. Sie ziehen vielleicht aus den
Hochhäusern in Einzelhäuser, aber sie bleiben ihrem Quartier treu. Sie haben
sich nicht nur mit ihrer Gegend arrangiert, sie fühlen sich hier einfach
wohl. Es ist ihre Heimat und in der Heimat bleibt man. Einmal ausgewandert zu
sein, war schon einmal zu viel. „Das Bemerkenswerte ist,“ so Dieter Kauczor,
„dass in Billstedt und Horn mittlerweile prozentual zur Einwohnerzahl mehr
Kinder mit Migrationshintergrund Abitur machen als Kinder ohne. Das könnte im
Umkehrschluss bedeuten, dass in Billstedt und Horn eines Tages die Intelligenz
lebt.“
Das wären wunderbare Aussichten
für die Stadtteile, meine ich. Ich meinen aber auch, dass aus diesem und auch
aus Gründen des Respekts die ständige Betonung aller, insbesondere aber auch
der Medien, die Bezeichnung »Menschen mit Migrationshintergrund«, allmählich
der Vergangenheit angehören muss. Die Zeit der erfolgreichen Migranten, die
nur tanzen-, schnell rennen-, singen oder hoch springen konnten ist vorbei.
Aber natürlich auch die Zeiten, als Migranten nur für den Müll zuständig
waren. In letzter Zeit haben sich nämlich nicht nur in Billstedt und Horn die
Zeiten geändert, sondern in ganz Deutschland. Man erkennt es in den gut
sichtbaren Bereichen der Gesellschaft, in den Medien und in der Politik. Dort
sind Migranten in Führungspositionen aufgestiegen. Der Stern-Ableger Neon hat
es gut beschrieben und dabei Philipp Rössler genannt, der vielleicht das beste
Beispiel dafür ist. Man könnte aber auch noch viele andere Menschen mit
Migrationshintergrund nennen, die einer deutschen Idee widersprechen, die da
lautet: je dunkler die Haut, je schmaler die Augen, desto schlechter die
Schulnoten und desto niedriger die Zahlen auf dem Gehaltszettel. Das aber nur
einmal so zwischendurch.
Wenn Sie jetzt das Quartier Kaltenbergen-Steinfurther
Allee einmal begutachten wollen und auch der »Kuhle« einen Besuch abstatten
möchten, werden Sie dort mit größter Wahrscheinlichkeit drei Fahnenmasten mit
diversen Flaggen daran bestückt sehen. „Es sind 35,“ versicherte Dieter
Kauczor. „Kinder aus 35 Nationen, die hier auf diesem Spielplatz in den letzten
Jahren ihre Zeit sinnvoll gestalteten.“
Zum Schluss bekam ich auch noch
die Antwort auf meine Frage nach der Beteiligung der Quartierssitzungen. Er
versicherte mit, dass nie weniger als 50 Leute dort sind. „Meisten um die 100
Interessierte.“ Außerdem betonte er weiter, dass hier im Quartier alle
willkommen sind, jeder sagen kann was er will, keiner weggeschickt oder
verdrängt wird. Auch nicht die »Trinker« dieser Gegend. Selbst für die ist
ein Platz geschaffen worden. Man nennt ihn den »Genießerplatz«, der demnächst
sogar überdacht werden soll. „Wenn wir die armen Geschöpfe verjagen würden,
hätten wir nur eine Verlagerung des Problems geschaffen, nicht aber das
Problem beseitigt“, so Frau Hafemann.
Eine gute Idee, wie wir finden,
die vielleicht als Beispiel die Runde machen sollte, bevor unkluge Wege
bezüglich des Hauptbahnhofs eingeschlagen werden. Aber nicht nur ein Dach für
die Trinker ist geplant, auch die Häuser der Baugenossenschaften Hansa und
des Bauvereins der Elbgemeinschaften werden im Moment und in Zukunft weiter
umgebaut. Alle Fahrstühle und Schächte werden saniert werden und bis, da wo es
nötig ist, in den Keller erweitert. Diese Häuser sind dann hinterher
barrierefrei. Und man geht dazu über, ältere Menschen aus den oberen in die
unteren Stockwerke »umzusiedeln«. „Wir wollen die Alten einfach halten, denn
sie haben dieses Quartier mit geschaffen und deswegen gehören sie dazu und
werden, wie alle anderen auch nicht, einfach weggeschickt“, so Frau Hafemann.
Eine wunderbare Einstellung, der man nur applaudieren kann.
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