Montag, 24. Oktober 2011

Steinfurther Allee/Kaltenbergen



In der Einleitung unserer neuen Serie berichtete ich, wie sich die Vergan­genheit von Bill­stedt und Horn gestaltete und habe die Frage gestellt, wie der schlechte Ruf der beiden Stadt­teile ent­stehen konnte. Ich nannte unter anderem die Vermutungen, dass es eventuell an der Mas­se der Men­schen mit Mi­gra­tionshin­ter­­grund lag und dem even­tuell daraus resul­­tier­enden so­zi­a­lem Un­­­gleich­ge­wicht. Oder doch nur an der ho­hen Ar­beits­losen­quote, die ganz sicher nicht durch diese Menschen entstanden ist. Ganz nach dem Mot­to: Denkste an Ar­beits­lose, denk­s­te an Billstedt und Horn.


Grundsätzlich, so meine ich, kann die Frage nicht wirklich ­beant­wortet sondern höchstens gemutmaßt werden. Ge­gen den schlechten Ruf aber kann man etwas tun. Von Be­hör­denseite wurde das Problem erkannt­ und vor gut fünf Jahren entsprech­end rea­giert. Seit No­vember 2008 liegt ein erarbei­tetes Ent­wicklungs­kon­zept für die bei­den Stadtteile vor. Es wurde »Billstedt.Horn – ganz weit vorn« genannt und danach mit Priorität bearbeitet. In dieser Folge be­schrei­be ich, was im Quartier Kaltenbergen/Stein­further Allee bisher umge­setzt wurde, wie sich die Men­schen heute dort fühlen und welche Ziele noch verfolgt werden.

Ich trafmich dazu mit Frau Beate Hafemann, von der für dieses Quartier zuständigen Agen­tur »raum + prozess« im »Wasch­haus«. Dem Treffpunkt in Kalten­bergen für jung und alt. Sie er­zählte mir auch gleich voller Stolz von der schönen, mitten im Bezirk befindlichen Park­anlage mit dem neu ge­schaffenen Senior­en­garten. „Die­ses Gebiet war vorher kom­plett zugewachsen,“ klärte sie mich auf, „so dass sich hier kein Mensch mehr traute durchzugehen.“ Tat­sächlich stau­nte ich nicht schlecht, als sich später vor uns die Grün­anlage in voller Pracht offen­barte. Sogar eine Hundetoilette konnte ich be­wundern, ein ge­schlossenes Areal, in der sich so­wohl eine Bank und ein kleiner Hindernis­parkour für die Vier­bei­ner be­findet. „Das ist aber nicht unser Seniorengarten,“ schmun­zelte Frau Hafemann, „der ist hier.“

Sie zeig­te mir einen kleinen »Sport­park«, der sich vor einem richtigen Fit­ness-Centrum kaum verstecken muss. Na gut, ein bisschen über­treiben darf man ja wohl. Dann aber sahen wir die Bänke und Tische aus hochwerti­gem Holz und rostfreien Stahl, an und auf denen man gerne sitzt und die für klei­ne Feiern für alle Be­woh­ner dieses Viertels gedacht sind. Aber natürlich auch einfach nur so als Treff­punkt für alle, die nicht gern alleine in ihren vier Wänden verweilen wollen. Schön gemacht und wunderbar an­zusehen.

Der Agentur »raum + prozess« wurde vom Bezirksamt Hamburg Mitte die Aufgabe übertragen, sich um die Men­schen dieses Stand­ortes zu kümmern, sich die Sorgen und Nö­te der Bürger anzuhören, unter Um­­ständen auch mal de­eskalierend einzugreifen und gege­benenfalls die von den Bewohnern gemachten Ver­bes­­se­rungs- oder Verschöne­rungs­­vor­schläge umzu­set­zen. „Der Park inklusiv des Seniorengartens war mit rund 900.000 Euro natürlich ein sehr großes und auf­wändiges Projekt, das von vorn­herein in der Planung war,“ so Beate Hafermann, „aber wir haben auch ein Mini-Budget für die klei­nen Dinge des Le­bens, wie für Bastel­aktionen oder Pony­reiten für Kin­der, beispielsweise auf dem dies­­­jäh­rigen Früh­lings­fest. Wir ge­ben aber auch, wenn es anliegt, Geld für ein Schachspiel dazu. Die Entscheidung darüber aber liegt beim Quartiersbeirat.“

All diese Dinge sind Grund dafür, wie mir zu Ohren gekommen war, dass das In­teresse und die Betei­ligung der An­wohner an den Quar­tiers­be­sprech­ungen sehr hoch ist. Wie hoch, erfuhr ich auf den im Park befind­lichen Bauspielplatz »Kuhle«. Dort treffen wir den Bei­ratsvorsitzenden des Quar­tiers, Herrn Kauzcor, der dies­bezüglich alle Fragen beantworten sollte.

Dieter Kauczor, ein Mann wie ein Baum, studierter Lehrer und früher auch mal Vorsitzender der Bill­stedter SPD, erzählte uns, dass er in der »Kuhle« schon seit 1974 tätig ist und zum Beispiel auch diesen imposanten  Bauspiel­platz, auf dem wir uns befanden, mit auf­gebaut hat. Und er engagiert sich bei der Aktions­gruppe »Kinder und Jugendhilfe Kalten­ber­gen e.V.«, die 1974 gegründet wurde. Die »Kuhle« ist ein verordnungs­freier Raum, und des­halb kann dort nach Lust und Laune gebaut und gewerkelt werden. „Natür­lich im Rahmen des Gesetzes,“ versichert er mir. Das eigentliche Ziel des Ver­eins ist, alle Kin­der dieser Ge­gend in Aus­bildung zu brin­gen. Das ist eine heroische Auf­gabe und kann nur gelingen, wenn man den »Dreikäsehochs« schon vom Vor­schulalter an langfristig selbststän­diges Han­deln beibringt. „Wir bie­ten hier zum Beispiel überhaupt nichts an,“ erklärt mit Dieter Kauczor, der übrigens von allen geduzt wird. „Wenn aber ein Kind kommt und irgendetwas Sinnvolles bauen möchte, dann kann es das hier realisieren. Dabei wird ge­hol­fen wo es nur geht. Aber es kann nicht einfach hier erscheinen und sagen, dass es hier schlafen möch­te. „Die­se Bitte darf es zwar äu­ßern,“ versichert er mir, „aber dann muss es sich erst ein Haus bauen. Ohne Haus geht es nicht. Man kann ja auch nicht einfach Ka­ninchen oder Hühner haben wol­len, ohne dass vorher ein Stall gebaut wurde. Wenn die Grund­lagen ge­schaffen sind, kann man über alles reden. Das ist wie im richtigen Leben.“

Ein Problem insgesamt ist, dass viele Kinder dieser Gegend aus Hartz IV-Familien kommen. „Die­se “Vererb­barkeit“ des Resig­nierens, der Einstellung, dass der Staat sich schon um »uns« küm­mert, müssen wir durchbrechen. Dann wird sich auch die Zahl der Hartz IV-Em­pfänger  irgendwann reduzieren,“ so Dieter Kauczor. „Und das werden wir schaffen. Das Schöne ist doch,“ erzählt er uns freude­strahlend weiter, „dass mittlerweile schon der Nachwuchs meiner damali­gen Ju­gend­lich­en zu uns kommt. Das zeigt doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass sich die Men­schen hier wohl fühlen und blei­ben.“

Das allerdings stimmt nur bedingt, denn wer es von den deut­schen Bür­­gern beruflich und gesellschaft­lich geschafft hat, zieht in eine “bessere“ Gegend. Nicht alle aber viele. Die Men­schen mit Migra­tionshinter­grund dage­gen bleiben. Sie ziehen vielleicht aus den Hoch­häusern in Einzelhäuser, aber sie bleiben ihrem Quartier treu. Sie haben sich nicht nur mit ihrer Ge­gend arran­giert, sie fühlen sich hier einfach wohl. Es ist ihre Heimat und in der Heimat bleibt man. Ein­mal ausge­wandert zu sein, war schon einmal zu viel. „Das Bemer­kens­werte ist,“ so Dieter Kauczor, „dass in Bill­stedt und Horn mittler­weile pro­zentual zur Ein­wohner­zahl mehr Kinder mit Mi­grations­hintergrund Abitur machen als Kinder ohne. Das könnte im Umkehr­schluss bedeu­ten, dass in Billstedt und Horn eines Tages die Intelli­genz lebt.“

Das wären wunderbare Aus­sichten für die Stadtteile, meine ich. Ich meinen aber auch, dass aus diesem und auch aus Gründen des Res­pekts die ständige Beto­nung aller, insbeson­dere aber auch der Medi­en, die Bezeichnung »Menschen mit Mi­grationshinter­grund«, all­mählich der Vergangen­heit ange­hören muss. Die Zeit der erfolg­reichen Migranten, die nur tanzen-, schnell rennen-, singen oder hoch springen konnten ist vorbei. Aber natürlich auch die Zeiten, als Migranten nur für den Müll zu­ständig waren. In letzter Zeit haben sich nämlich nicht nur in Billstedt und Horn die Zeiten geändert, son­dern in ganz Deutsch­land. Man erkennt es in den gut sichtbaren Be­reichen der Gesell­schaft, in den Medien und in der Politik. Dort sind Migranten in Führungspositi­onen aufgestiegen. Der Stern-Ab­leger Neon hat es gut beschrieben und dabei Philipp Rössler genannt, der vielleicht das beste Beispiel dafür ist. Man könnte aber auch noch viele andere Men­schen mit Migrations­hinter­grund nennen, die einer deutschen Idee wider­sprechen, die da lautet: je dunkler die Haut, je schmaler die Augen, desto schlechter die Schulnoten und desto niedriger die Zahlen auf dem Gehaltszettel. Das aber nur einmal so zwischendurch.

Wenn Sie jetzt das Quartier Kal­tenbergen-Steinfurther Allee ein­mal begutachten wollen und auch der »Kuhle« einen Besuch abstat­ten möchten, werden Sie dort mit größter Wahr­scheinlichkeit drei Fahnen­masten mit diversen Flag­gen daran bestückt sehen. „Es sind 35,“ versicherte Dieter Kauczor. „Kinder aus 35 Nationen, die hier auf diesem Spielplatz in den letz­ten Jahren ihre Zeit sinnvoll ge­stal­teten.“

Zum Schluss bekam ich auch noch die Antwort auf meine Frage nach der Beteili­gung der Quartiers­sitzungen. Er ver­sich­erte mit, dass nie weniger als 50 Leute dort sind. „Meisten um die 100 Interessier­te.“ Außerdem be­tonte er weiter, dass hier im Quar­tier alle willkom­men sind, jeder sa­gen kann was er will, kei­ner weg­ge­schickt oder ver­drängt wird. Auch nicht die »Trin­ker« dieser Ge­gend. Selbst für die ist ein Platz geschaffen worden. Man nennt ihn den »Genießer­platz«, der dem­nächst sogar über­dacht werden soll. „Wenn wir die armen Ge­schöpfe verjagen wür­den, hätten wir nur eine Verlage­rung des Pro­blems geschaffen, nicht aber das Problem beseitigt“, so Frau Hafemann.

Eine gute Idee, wie wir finden, die vielleicht als Beispiel die Runde machen sollte, bevor unkluge We­ge bezüglich des Hauptbahn­hofs ein­geschlagen werden. Aber nicht nur ein Dach für die Trinker ist geplant, auch die Häuser der Bau­ge­nosse­n­schaften Hansa und des Bauvereins der Elbge­mein­schaf­ten werden im Moment und in Zukunft weiter umgebaut. Alle Fahrstühle und Schächte werden saniert werden und bis, da wo es nötig ist, in den Keller erweitert. Diese Häuser sind dann hinterher barrierefrei. Und man geht dazu über, äl­tere Menschen aus den obe­ren in die unteren Stock­werke »um­zusie­deln«. „Wir wollen die Alten einfach halten, denn sie haben dieses Quartier mit­ ge­schaf­fen und deswegen gehören sie dazu und werden, wie alle anderen auch nicht, ein­fach wegge­schickt“, so Frau Hafemann. Eine wunderbare Ein­stellung, der man nur app­lau­dieren kann. 

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