„Sorry,
ich war in Gedanken“, säuselt sie und hilft mir wieder auf die Beine.
Wahrscheinlich Studentin, dachte ich. Tastete mit der einen Hand an meinen Kopf
und mit der anderen ergriff ich ihre. Sicher ganz neu in Billstredt, mutmaßte
ich und versuchte mit der Lässigkeit eines Lebemannes so etwas wie Stärke
auszustrahlen: „Kein Problem: Kann mal passieren,“ und ließ mir ihre Telefonnummer
geben ... natürlich nur für den Fall, dass sich meine Verletzung als doch
schwerer herausstellen sollte.
So
etwas kann mal passieren, auch in Billstedt. Und auch das mit der Studentin,
aber vor allem, dass man als Radfahrer übersehen wird. Eben Künstlerpech. Rad
fahren in Billstedt und Umgebung?! Ist das ein Thema? Natürlich, fanden wir,
global betrachtet, allerdings nicht zwangsläufig en Detail. Vor ein paar Jahren
jedoch hätten wir noch berichtet: Es gibt Erstrebenswerteres. Doch heute, nach
den vielen Straßenumbauten, speziell der Radfahrwege, sieht die Radfahrwelt
wieder Licht am Ende des Tunnels. Im Gegensatz zu früher kommt diesmal aber
keine Eisenbahn entgegen.
Früher
war alles besser! So sagt man. Stimmt aber nicht. Denn früher hatte Billstedt
noch gar keine Radfahrwege, das waren maximal Strecken die Mountainbiker erfreut hätten. Auf denen konnten sich die umweltbewussten
Straßenteilnehmer ohne entsprechende Hight-Tech-Hillclimber oder -Downhiller
schön den Hals brechen. Mehr nicht. Heute können wieder alle Velo-Freunde durch
Billstedt fahren, ohne Angst zu haben. Allerdings haben wir beobachtet, dass
die neuen Radwege nur in Leichtbauweise hergestellt wurden. Der Unterbau
besteht nämlich nur aus einer dünnen Sandschicht. Und weil das so ist, müssen
selbst neu angelegte Radwege, je nach Benutzungsgrad, schon nach etwa drei
Jahren wieder erneuert werden. Da die regelmäßigen Nachbesserungen aber
leider nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt werden, wachsen diese
wieder zu, Steine werden durch Wurzeln aufgeworfen und auch durch Falschparker
umgepflügt. Wer mit dem Rad dort stürzt, hat selbst Schuld. Er hätte ja
langsamer fahren können.
Nichts
desto Trotz kann sich der geneigte Velocepede in Billstedt auf vielen
Kilometern Radfahr- und Feldwegen oder Straßen auspowern oder einfach nur so
Rad fahren, um von A nach B zu kommen. Und das in einer wunderbaren Luft. Ja,
wirklich, bedingt durch den permanent, relativ stark vorhandenen Wind, hat
Hamburg, und damit auch Billstedt
bundesweit betrachtet, erstaunlich gute Feinstaubwerte.
Unabhängig
der Tatsache, dass das Radfahren nicht ganz ungefährlich ist, bleibt das
Fahrrad trotzdem die beste Wahl der Fortbewegung. 2011 verzeichnete Billstedt
nur knapp 60 Verkehrsunfälle mit Radfahrern. Die Rede ist allerdings nur von
den gemeldeten Unfällen. Trotzdem sind es zuviel, aber im Gegensatz zu ganz
Hamburg, wo allein im ersten Halbjahr schon zehn tote Radfahrer zu beklagen
waren, gab es in Billstedt keinen einzigen Toten.
Wie
aber kommt es überhaupt zu so vielen Unfällen? Fakt ist doch, dass fast jeder
Autofahrer und Fußgänger auch irgendwie Radfahrer und natürlich fast jeder
Radfahrer auch Fußgänger oder Autofahrer ist. Nun sollte angenommen werden,
dass bedingt dadurch alle gleich “ticken“. Das jedoch ist ein großer Irrtum,
wobei sich Rad- und Autofahrer in ihrer Verhaltensweise noch am “ähnlichsten“
sind, denn sie haben etwas Elementares gemeinsam: Sie rollen. Fußgänger dagegen
eher nicht. Sie fühlen sich sicher, müssen nicht aufpassen. Da wird geträumt,
da werden Gedanken gewälzt, wird mit Händen und Füßen erzählt oder einfach in
die Luft geguckt, weil irgendjemand ruft: Schau mal, ein toter Vogel! Und
dann bleiben sie abrupt stehen. Dass sich hinter ihrem Rücken Radfahrer beim
Bremsen fast überschlagen, wird meist nicht einmal zur Kenntnis genommen. Der
Fußgänger scheint auch zu denken, dass alles was nicht Straße ist,
ausschließlich für sie sei und der Radfahrweg nur seine Bordüre. Mal ehrlich,
haben Sie schon einmal gesehen, dass ein Fußgänger, bevor er einen Radfahrweg
kreuzt, nach Radfahrern Ausschau hält? Wir noch nicht. Würden uns aber freuen, wenn
es irgendwann der Fall sein wird.
Was
uns allerdings-, und damit sicher auch andere Hamburger Radfahrer nicht
erfreut, sind die hier und da noch vorhandenen, viel zu schmalen gemeinsamen
Geh- und Radwege – in der Regel unter dem Mindestmaß von 2,50 m Breite. Das
funktioniert einfach nicht. Überhaupt mögen Hamburger keine Enge, schließlich
ist die Perle an der Elbe die größte Nichthauptstadt in der Europäischen
Union. Da muss es doch Möglichkeiten für breitere Radfahrwege geben. Besonders
eng aber wird es, wenn auf den Geh- und Radfahrwegen noch zusätzlich Autos,
ohne Sicherheitsabstand parken (dürfen) und zwischen Auto und Hecke nur noch
eine Breite von maximal einem Meter verbleibt, wie zum Beispiel Ecke Mümmelmannsberg/Steinbeker
Hauptstraße. Da können Radfahrer dann kaum noch fahren. Der Radweg könnte auch
der Straße zugegeben werden. Das würde wiederum den Autofahrer erfreuen und der
Velofreund hätte auf der Straße mehr Platz. Auf der Straß0e fahren darf er
übrigens laut höchstrichterlichen Entscheidung seit November 2010, obwohl das
schon seit 1998 in der Straßenverkehrsordnung steht: Der Radverkehr gehört
grundsätzlich auf die Fahrbahn, außer dieser ist besonders gekennzeichnet.
Nutzen Radfahrer aber die Straße, verlieren einige Auto fahrende Bürger den
Respekt vor ihnen, sofern sie ihn vorher überhaupt hatten. Weil sie meinen
schneller und stärker zu sein. Nicht selten sitzen diese in einem tiefer
gelegten Dreier, Fünfer, Sechser oder was auch immer für einem meist bayrischem
Fortbewegungsmittel, häufig zu viert, die meinen, fünfe gerade sein lassen zu
können, in dem sie denken, sofern sie denken, durch scharfes Bremsen oder
Gasgeben die schwächeren Verkehrsteilnehmer erschrecken zu müssen. Genauso schlimm
ist aber auch die Gilde der Oberlehrer, die durch wildes Hupen mit gleichzeitig
heftig gestikulierenden Händen zeigen wollen, dass wir auf den Radfahrweg
gehören. Ist ja gut.
Wenn
Radfahrer dann Pause machen, sinnieren sie vielleicht über Städteplaner,
amüsieren sich über Fußgänger, die palavernd oder in sich gekehrt an ihm vorbei
ziehen, schütteln über die Radfahr-Kuriere den Kopf, weil sie bei rot quer über
Kreuzungen fahren, dadurch Autofahrer zum Bremsen zwingen und diese über so
viel Dreistigkeit zur Verzweiflung bringen. Wahrscheinlich sind es dieselben
Autofahrer, die vorhin noch auf der Tankstellenauffahrt andere Radfahrer fast
umgefahren haben.
Also:
Was muss besser werden? Es nützt ja nichts, nur sarkastische Ergüsse von sich
zu geben. Der Hamburger Senat hat vor geraumer Zeit beschlossen, dass bis Ende
2015 alle neu geplanten Velorouten ausgebaut werden und alle Radwege an den
Hauptstraßen, die auch zukünftig noch benutzungspflichtig bleiben sollen,
unter Beachtung der gültigen Regelwerke, also mit den vorgeschriebenen
Mindestbreiten, saniert werden. Und zur Verknüpfung
von Radverkehr und öffentlichem Nahverkehr sollen die "Bike and
Ride-Anlagen" kontinuierlich ausgebaut werden. Schön! Schön wäre aber
auch, wenn es eine “StattRad“-Station in Billstedt geben würde. Das aber nur so
nebenbei. All das nützt aber nur, wenn in den
Köpfen der Beteiligten auch ein Umdenken stattfindet. Nämlich, dass wir alle auf
einem Rad, sorry, in einem Boot sitzen. Ob Politiker, Planer, Autofahrer,
Fußgänger oder Radfahrer. Wir alle sind Verkehrsteilnehmer, und wir alle haben
die gleichen Rechte und Pflichten. Der Radfahrer, egal ob in Billstedt oder
auf irgendeinem anderen Fleckchen dieser Erde, will nur Gleichberechtigung. Keine Bevorteiligung.
Denn das hätte im Umkehrschluss ja eine Benachteiligung für irgendjemanden zur
Folge. Und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Allerdings käme es dann
auch nicht mehr zu Zusammenstößen mit netten Studentinnen ...
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