Es ist ein bedrückendes Gefühl, in einem kleinen Zimmer zu
stehen, welches nicht sonderlich gemütlich eingeräumt ist, das kaum Freiraum
bietet und dessen Fenster mit schwarzen Vorhängen verdeckt sind. Doch genau so
musste sich Anne Frank gefühlt haben, als sie sich zur Zeit des Hitler-Regimes
im Hinterhaus der Firma Pectacon im holländischen Amsterdam mit ihrer und einer
weiteren Familie versteckte. Die Familie Frank war aus ihrer Heimat Frankfurt
am Main geflüchtet. Schon in dieser Zeit schrieb Anne viel in ihr Tagebuch. Ich
kann es mir schwer vorstellen, wie es gewesen sein muss, immer mehr Verbote zu
bekommen. Dinge, die ich für selbstverständlich halte, waren für Anne ein
unerreichbarer Luxus: ein Schulbesuch, Kinobesuche, öffentliche Schwimmbäder,
einkaufen wann und wo immer man wollte, ohne Bedenken auf die Straße gehen.
Anne verlor in jungem Alter ihr Leben im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Und
all das nur, weil sie Jüdin war. Unerwünscht.
Text: Maxi Joline Baumert (16) aus Billstedt
Im September 2012 durfte ich dann ein wenig nachempfinden,
wie es war, als jugendliches Mädchen diese Zeit zu spüren. In Schwerin fand das
Musikfestival „Verfemte Musik“ statt. Hier spielte ich in einem bundesweit
zusammen gestellten Workshop von 16 Schülern und Schülerinnen, zwischen 14 und
18 Jahren, unter der Leitung von Doris Post und Helen Peyton autobiografisches
Theater über die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch. Anita, 1925 in
Breslau geboren, wurde 1943 nach Auschwitz deportiert, nachdem sie bereits im
Waisenhaus und im Zuchthaus war. Durch einen Zufall wurde man bei der Selektion
darauf aufmerksam dass sie Cello spielte. Ein Zufall, der ihr das Leben
rettete: Sie wurde Mitglied im Mädchenorchester des Konzentrationslagers
Auschwitz und entging somit der Gaskammer, also dem sofortigen Tod. In diesem
Workshop „durchlebten“ wir natürlich nicht all das Schreckliche, welches Anita
Lasker-Wallfisch als Teil davon miterlebte. Dennoch bekamen wir ein Gefühl
dafür wie schrecklich es damals war, nur seiner Religion wegen, so sehr
unerwünscht zu sein. Sowohl Anne Frank, als auch Anita Lasker-Wallfisch waren
etwa in meinem Alter, als sie dieses Gefühl hautnah erfuhren: Unerwünscht sein.
Zwar gibt es heutzutage in Deutschland keine politischen
Verfolgungen mehr in diesem Ausmaß, dennoch frage ich mich, ob sich auch heute
noch Jugendliche unerwünscht fühlen. Wenn ja, war es denn das gleiche
unerwünscht sein, wie zu der Zeit des Nationalsozialismus.
Ich befrage jugendliche Passanten und eine 10. Klasse des
Gymnasiums der Wichern-Schule, die gerade ein zweiwöchiges pädagogisches
Praktikum absolviert hat. In diesem Praktikum verschlug es die 23 Schüler in
die unterschiedlichsten Richtungen: von unterschiedlichen Kindergärten bis hin
zu Pflege- und Seniorenheimen. Durch die Einblicke die sie erhielten, haben viele
Schüler ihre Meinung zu bestimmten Personengruppen revidiert, die in unserer
Gesellschaft ebenfalls als unerwünscht abgestempelt werden. Doch kann denn
überhaupt definiert werden, welche Personengruppen als unerwünscht gelten?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, da das Empfinden unerwünscht zu sein
sehr individuell ausgeprägt ist.
Die 10g2 der Wichern-Schule ist sich darüber einig, dass es
nicht nur die Faktoren Herkunft, Hautfarbe, Religion, körperliche und/oder
geistige Handicaps, sexuelle Orientierung oder die soziale Schicht sind, die
dazu verleiten sich anders, ausgegrenzt oder unerwünscht zu fühlen.
Ihrer Meinung nach passiert es vor allem unter Jugendlichen
sehr schnell, dass sie sich schon durch kleine Missverständnisse gegenüber
Freunden, im Sportverein oder in der Schule so unbeliebt machen, dass sie
letztendlich ausgegrenzt werden. Als Ergebnis: unerwünscht sind.
Auch die verschiedenen Mentalitäten und
Charaktereigenschaften spielen in Gruppen und Cliquen eine große Rolle. „Man
kann sich bereits unerwünscht fühlen, sobald man das Gefühl hat einfach anders
zu sein. Oftmals reicht dieses Gefühl schon aus“, meint Annkathrin S.
Ich gebe der Klasse die Themenbeispiele Anne Frank und Anita
Lasker-Wallfisch und frage, worin die Unterschiede des damaligen unerwünscht
seins zur heutigen Zeit liegen.
Die Klasse überlegt. „Gesetzliche Änderungen, wie das
Antidiskriminierungsgesetz tragen dazu bei, dass Menschen beispielsweise wegen
ihrer Religion nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen.“, wirft der Klassenlehrer
Florens R. ein. „Die Menschen
haben aus den Geschehnissen der Nazizeit gelernt, damit so etwas nicht noch
einmal passiert.“, ist sich Julia A. sicher. „Anita Lasker-Wallfisch und Anne
Frank waren in jeder Beziehung unerwünscht – man nahm ihnen schließlich ihre
ganze Existenz“, so fasst es Lennart S. treffend zusammen.
Aber wie können wir dagegen angehen? Wie sollen wir mit
einer Situation umgehen, in der jemand diskriminiert wird? Sich einfach
einmischen? Kerem T. überlegt: „Stell dir vor, jemand macht das mit dir!“ Die
Klasse diskutiert unterschiedliche Ideen, wie man helfen kann. Beispielsweise
verstärkte Aufklärung über die Hintergründe kultureller und religiöser Aspekte
und auch der Hinweis auf anonyme Hilfeeinrichtungen bei Mobbing. Wichtig ist es
vor allem Vorbilder zu haben. Einrichtungen wie die Arche, die Hamburger Tafel,
der Internationale Bund und die Hinz & Kunzt sind durch ihre Arbeit
Vorbilder. Und das ist es, worauf es ankommt. Dieser Meinung ist auch Michel D.
„Man muss den anderen ein Vorbild sein. Auch, wenn es manchmal schwer ist.“
Ebenso die Idee, der passbildfreien Bewerbungen kommt bei den meisten Schülern
gut an. „Die Qualitäten des Bewerbers rücken dadurch in den Vordergrund, nicht
das Aussehen oder die Herkunft. Darauf kommt es an.“, findet Lena H.
Bei meiner Befragung von den jungen Passanten stieß ich auf
ähnliche Gedanken. Das unerwünscht sein heutzutage sei viel unterschwelliger
als früher, wie mir eine Schülerin erzählt. „Manchmal ist es schwer zu
erkennen, dass sich jemand anderes unerwünscht fühlt, weil es oft schwierig
ist, die Situation richtig einzuschätzen.“, sagt ein Schüler und fährt fort:
„Das hat auch etwas mit Sensibilität und Empathie zu tun.“ Eine weitere
Passantin sagt: „Durch Vorurteile entstehen auch gewisse Abneigungen. Wenn ich
allerdings mit den Leuten ins Gespräch komme, bilde ich mir meine eigene
Meinung und gebe den Leuten dadurch automatisch eine Chance.“
Was Konfliktsituationen angeht ist es schwierig und riskant
zugleich dort einzugreifen. Daher verhalten sich Menschen oft einfach still, um
Ärger zu vermeiden. In diesem Punkt unterscheidet sich die heutige Zeit kaum
von früher. „Man braucht Courage. Früher wie heute. Nur leider machen das nicht
viele.“, so Judith Landshut, Mitarbeiterin der jüdischen Gemeinde in Hamburg.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir den Personen, die
sich unerwünscht fühlen, auch helfen, indem wir ihnen Anerkennung geben,
Interesse zeigen, offen sind oder sie einfach mit in unseren Alltag
einbeziehen.
Auf meine Frage, in wie fern sich der Alltag der betroffenen
Jugendlichen damals, vom Alltag von Jugendlichen heute unterscheidet, antwort
Judith Landshut, die selbst Jüdin ist:
„Heute ist der Alltag einfacher als zur Zeit des 2.
Weltkrieges. Wenn man in der Zeit früher ein Jude war, dann bedeutete das
seinen Tod. Heute sind wir frei. Wir leben mit vielen Nationen zusammen, hören
viele Sprachen. Das ist fantastisch.“ Haben sich jugendliche Juden im Vergleich
zu heute verändert, wollte ich von ihr wissen. „Sie haben heutzutage viel mehr
Freiheiten und unsere Religion bestimmt nicht mehr, ob wir um unser Leben zu
fürchten haben oder nicht. Man musste sich diesen schrecklichen Gesetzen
beugen. Die, die die Juden vertreiben wollten waren die Repräsentanten dieser
Gesellschaft. Früher lebte man ständig in Angst.“ Sie fährt fort: „In der
Vorkriegszeit schon war das jüdische Leben ganz anders als heute. Es gab viele
jüdische Geschäfte und viel mehr jüdische Schulen. Das Judentum wurde
intensiver ausgelebt.“ In der Zeit vor dem Krieg zählte man in Hamburg rund
24.000 Juden, nach dem Krieg nur noch 624. Aber war es denn früher möglich, Widerstand zu leisten?
„Natürlich. Aber unter höchster Gefahr. Unter Lebensgefahr.“, so Landshut
weiter.
Auswirkungen hat das bis heute noch, wie Judith Landshut
erzählt: „Die Überlebenden leiden bis heute noch. Sie trauern um Freunde oder
Familienmitglieder, die flüchten mussten, verschollen sind, oder ins
Konzentrationslager gebracht wurden. Die Erinnerung ist immer da, aber das ist
auch wichtig!“
Unsere Aufgabe ist es, niemals zu vergessen und auch in
Zukunft die Augen offen zu halten!
Der Text ist Teil des Projektes “Klosterschüler machen
Politik”. Siehe www.hh-mittendrin.de
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