Donnerstag, 7. Februar 2013

Alles kein Problem


Die Behörde  für Arbeit, So­ziales, Familie und Integration, kurz BASFI, hat beschlossen, dass auf der Fläche der alten Schule am Oststein­beker Weg, 69 Asylsuchende und wohnungslose Menschen unterge­bracht werden. Das Hamburger Wochenblatt berichtete.


Die Anrainer können es kaum glauben und für sie ist eine Katas­trophe, so jedenfalls der Tenor der di­rekt „Betroffenen“. „Die Grundstücks­preise fallen, die Krimi­nalität wird steigen und der Ruf  des Stadtteils wird sich weiter verschlech­tern,“ klag­ten sie ihr Leid auf der letzten Regional­aus­schuss­sitzung, um nach den Bekundungen sämtlicher Parteien – „Natürlich will niemand weitere Asylbewerber und Wohnungslose in Billstedt und schon gar nicht auf diesem Gelände, aber es gibt kei­ne andere Möglich­keit – ge­schlossen die Räum­lichkeiten zu ver­lassen, bevor andere Themen des Abends  angesprochen wurden.


Eine Woche später organisierten die­sel­ben Anwohner eine Informations­veran­staltung in der AWO Merken­strasse, zu der rund 150 Leute kamen, orts­ansäs­si­ge Politiker aber weitestge­hend un­sichtbar blieben. Michael Fröhlich, einer der Initiatoren dieser Veranstal­tung, war selbst etwas überrascht, mo­derierte den Abend, trotz einiger unqualifizierter Zwischen­rufe, wie: „Die haben hier nichts zu suchen!“ oder: „Selbst die Polizei weiß von nichts!“ trotzdem relativ souverän. Auffallend war, dass fast ausschließlich nur von Asylsuche­nden gesprochen wurde und mit keinem Wort Woh­nungslose Erwähnung fan­den.


Das primäre Problem der Anwohner ist, dass es verschiedene Aussagen seitens einiger Bezirkspolitiker gibt, die den Men­schen zeigen, dass eigentlich kei­ner von denen genau Bescheid weiß. Einmal ist öffentlich die Rede von zwei Jahren (Andy Grote), zu denen nachträglich ein „zirka“ gesetzt werden sollte, um dann ein paar Tage später zu erfahren, dass Staatsrat Jan Pörksen schon am 27. November 2012 an den Vor­sitzenden der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte schrieb: „Der Bezirk Hamburg Mitte bzw. Schulbau haben kurzfristig keine Nutzung vorgesehen. Das Objekt kann für fünf Jahre als Zwischennutzung zur Verfügung ge­stellt werden. Vor diesem Hintergrund plant die BASFI eine Zwischennutzung des Haupt- und Verwaltungsgebäudes für fünf Jahre.“ 


Nachdem sich mittlerweile in je­dem Hinterzimmer der Politik herum­ge­sprochen hat, dass Billstedter Bürger sich nicht alles gefallen lassen, wurde auch die Billstedter FDP-Vorsit­zende, Martina Kaesbach, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, tätig, in­dem sie an den Senat eine schriftliche kleine Anfrage stellte, in der unter anderem um Antwort gebeten wird, in welchem Umfang die Anwoh­ner vor Ort in die Pläne des Senats, die Kapa­zitäten der öffentlichen Unter­bringung im Bezirk Hamburg-Mitte zu erhöhen, eingebun­den wurden.

Fakt ist, dass Asylsuchende und Woh­nungslose menschenwürdig unterge­bracht wer­den müssen. Wo ist eigent­lich egal. Das „Wie“ ist entscheidend. Dabei stellt sich den meist­en Billstedter Bürgern die Frage: Warum nicht auch mal in anderen Stadtteilen, die bisher noch nie Asylsuchende oder Woh­nungslose auf­genommen haben? Da­von gibt es nämlich genug. Denn ob die alte Schule wirklich geeig­net ist, 69 Be­wohner menschenwürdig unter­zu­brin­gen, ist noch gar nicht geklärt. „Was ist denn, wenn die Gebäude As­best­ver­seucht sind oder die seit acht Jahren un­benut­zten sanitären Anlagen doch nicht mehr funktionieren?“ fragte ein An­wohner. „Dann würden nicht nur die Sanier­ungskosten steigen, sondern hin­terher auch noch eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufge­stellt, die dann aus­sagen wird, dass noch weitere Jahre dort Asylsuchende unterge­bracht wer­den müssen. Sonst rechnet es sich nicht!“ Der Vorschlag aber, wie ihn die Grünen äußerten, alle in einem Hoch­haus unterzu­bringen, kann auch nicht wirklich Ernst gemeint sein. So jeden­falls einige vernünftige Stimmen während der Informationsveranstal­tung, auf der dann der Gegenvorschlag nicht lange auf sich Warten lies. Wenn jeder Stadtteil zehn bis 15 Men­schen auf­nimmt, zum Beispiel in be­treutes Wohnen, dann wäre das nicht nur ein wun­derbares solidarisches Zeichen und wür­de keinen Stadtteil wirklich be­lasten, sondern die Flücht­linge, die ihr Land ganz sicher nicht freiwillig verlassen haben, würden hier wieder zu einem normalen Leben finden und glücklich werden. Darüber sollten die Politiker ernsthaft nachdenken.

Jetzt aber müssen wahrschein­lich alle Billstedter Bürger, vor allem aber die Anrainer, nicht nur ihren Frust nicht auf den Schultern der Flücht­lingen aus­tragen, sondern möglichst das Beste daraus machen und helfen, dass die Asyl­suchenden, sofern sie denn in Deutschland bleiben dürfen, in den nächs­ten Jahren würdig integriert wer­den. Das hätte Stil und würde den Stadtteil ganz weit nach vorne bringen. Auch wenn es einige nicht glauben wollen.

3 Kommentare:

  1. Sie sprechen von Integration und vergessen, dass die Ballung von sozial Schwachen in einem Gebiet zur Chancenungleichheit eben für diese Menschen führt. Das zeigt die Statistik für jede Großstadt. Ich selbst habe von sozialer Durchmischung sehr profitiert und bin froh darüber. Auch wenn ich manches mal neidisch und wütend auf die Ungerechtigkeit war, dass andere ihre neuen Sachen zur Schau trugen und keine Überlegungen anstellen mussten, wie sie z.B. ihren Führerschein finanzieren. Von dem mangelnden Interesse meiner Eltern an Bildung ganz zu schweigen. Mein Schulabschluss wurde mit demonstrativem Desinteresse quitiert. Sie spielen denjenigen gesellschaftlichen Gruppen in die Hände, die sich wirklich von der erforderlichen Solidarität frei machen. Wer freiwillig mit seinen Kindern in einen Stadtteil mit fast 50 % Migrationshintergrund zieht, hat wohl kaum etwas gegen Ausländer. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Die Menschen, die sich der Verantwortung entziehen, wohnen tendenziell nicht nicht in Billstedt. Und in der öffentlichen Meinung wird Billstedt für seine Integrationsleistungen auch nicht gewürdigt, sondern gemieden und von nicht wenigen herabgewürdigt. Wir sind derzeit an 2. Stelle derjenigen Stadtteile, in denen Hamburger nicht wohnen wollen. Unsere Integrationsbemühungen bringen uns eben nicht nach vorne, wenn über Jahrzehnte durch verfehlte Sozialpolitik die Integrationsfähigkeit des Stadtteils systematisch überfordert wird. Jeder der hier betroffenen Anwohner lebt damit, dass man für seine Wohnortwahl Unverständnis erntet. Trotzdem sagt jeder hier, Billstedt ist viel besser, als wie es dargestellt wird. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Bürger in sogenannten angesehenen Stadtteilen ganz froh sind, dass die Integrationsaufgaben zuverlässig meist dort landen, wo sie kaum noch zu leisten sind. Ich glaube nicht, dass die Anwohner, die sie hier beschimpfen zu den Gewinnern der sozialen Segregation in Hinblick auf Immobilienbesitz gehören. An die echten Gewinner trauen sie sich nicht ran, nicht wahr? Die gerechte Verteilung von Integrationsaufgaben ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und vor allem der Chancengleichheit.
    Sie Reden der Ausgrenzung sozial Schwacher bzw. von Migranten das Wort das Wort, indem Sie die einseitige Ansiedlung in Billstedt befürworten. Bloß nicht nachhaltig wehren. Sollen hier etwa durch die freiwillige heldenhafte Aufnahme von Asylbewerbern z.B. 80 % Menschen mit Migartionshintergrund wohnen, die sich dann voller Stolz selbst deutsch beibringen und intgerieren? Es ist so einfach sich als Menschenfreund zu sonnen, anstatt den Kampf mit den Eliten in dieser Stadt aufzunehmen. Dazu sind Sie vermutlich zu feige. Ihre Haltung ist gegenüber eben diesen Eliten duckmäuserisch. Lieber sollen sich die Billstedter untereinander zerfleischen.
    Ich kann bei Ihnen keine Analyse und keine Lösungsansätze erkennen, geschweige denn eine angemessene Interessenvertretung der Billstedter. Ich kenne bisher keinen Anwohner, der nicht die Emphatie aufbringt, sich in die die Motive der Asylbewerber und die Tragik der Lebensläufe von Obdachlosen einzufühlen. Ich war zwar nicht auf der Veranstaltung, aber wenn jemand Befürchtungen in Richtung Kriminalität hat, können Sie seine Ängste ja auch einfach mal respektieren und ihn mit guten Argumenten vom Gegenteil überzeugen. Es eine riesige Dummheit, wenn Billstedter anstatt miteinander zu reden, sich gegenseitig mit Vorurteilen und Stimmungsmache überziehen. Ich kann bei Ihnen kein höheres Niveau als bei diesem Anwohner feststellen.

    Ich hoffe für Billstedt, dass sie zu einer ehrlichen und transparenten Debatte fähig sind und die Billstedter mit echten Lösungsansätzen voran bringen wollen. Ideologie hilft nicht weiter, wo andere in der Stadt Fakten nach ihrer Interessenlage schaffen. Sozial schwache Stadtteile leiden an Netzwerkarmut zur Macht. Deswegen kann man sie ganz gut benutzen. Sie scheinen da ja nicht viel gegen zu haben.

    Eine Anwohnerin

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    1. Zunächst einmal: Sie werfen dem Verfasser des Artikels (M. Neschki) Feigheit vor. In meinen Augen ist es feige, dann noch nicht einmal seinen Namen zu nennen, wie Sie es tun. Er vertritt eine andere Meinung als Sie; das gibt Ihnen aber noch lange nicht das Recht, ihn anonym zu beschimpfen und zu beleidigen.
      Es geht hier nicht darum, "heldenhaft" zu sein, sondern es geht um 69 Personen, die auf dem Gelände einer ehemaligen Schule untergebracht werden sollen. Es handelt sich bei diesen Personen um Flüchtlinge - und man sollte bedenken, daß niemand ohne triftigen Grund flieht. Dies sollte man immer bedenken.

      Britta Everding

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    2. Herr Neschki muss sich über die Reaktion nicht wundern, wenn er einige Anwohner in herablassender Art als "Betroffene" bezeichnet und im übrigen sich auf ein moralisch hohes Ross setzt. Das tun sie ebenfalls, indem sie indirekt unterstellen, man sehe die guten Gründe der Asylbewerber nicht. Ich kann mich nicht erinnern, mich gegen deren Anwesenheit in Hamburg ausgesprochen zu haben. Für meine Anonymität im www habe ich gute Gründe und es spricht nichts dagegen auf diese Weise öffentlich Argumente im Netz zu verbreiten, solange die Form gewahrt bleibt.
      Von einem Kommentar hatte ich mir mehr inhaltliche Auseinandersetzung erhofft.
      Die Anwohnerin

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