Hör mal, wer da hämmert
Aktion Im Hamburger autonomen Zentrum Rote Flora wird gebaut
- und auf die Sommerbaustelle kommen zusätzlich 50 Wandergesell_innen, um zu
helfen
Von Maike Zimmermann
Es ist ein
warmer Tag, irgendwann im April. Auf der Piazza im Hamburger Schanzenviertel
tummeln sich die sogenannten Schanzenjuppies und genießen die Sonne. Auf der
anderen Straßenseite steht die Rote Flora, die »Trutzburg« gegen
Gentrifizierung. Ich bin hier heute mit Robin verabredet, und so mache ich mich
auf den Weg über die Straße, zur Seitentür, die seit etlichen Jahren der
Haupteingang ist. Früher, in den 1990er Jahren, ging es noch durch die Tür am
Ende der Treppe an der Frontseite in das besetzte Zentrum.
Am 14. Juni 2015 wird die neue, alte Vokü und das,
was sonst noch bisher gebaut wurde, wiedereröffnet - und zwar über den neuen
Eingang. Dazu wird es auch eine Ausstellung geben mit den Schwerpunkten
Baugeschichte - insbesondere bezogen auf die Fassade, Vorstellung der
bisherigen Bauarbeiten und Ausblick auf die Sommerbaustelle. Auch die
Vorderfassade soll zu diesem Zeitpunkt eingerüstet sein
Neben der
Flora vergnügen sich Skater im Skatepool. Ich suche mir eine der vielen
Klingeln aus, höre nichts, nehme eine andere, höre das Klingeln durch die
Eisentür. Blinzelt wird mir aufgemacht - hier in der Flora ist es dunkel und
kühl, die Augen meines Gegenübers müssen sich erst an den Sonnenschein
gewöhnen. »Geh einfach nach hinten durch.« Ich gehe am Leoncavallo vorbei -
einem Raum, der nach einem autonomen Zentrum in Mailand, einem centro sociale,
benannt ist - und durch die große Halle in die frühere Vokü, die Volxküche. In
der großen Halle wird gerade aufgebaut - es ist Wochenende, heute Abend gibt es
eine Veranstaltung. Mit dem Schritt durch die Vokü-Tür stehe ich im Nebel. Es
staubt gewaltig, Robin schneidet gerade Fliesen.
»Ich zeig
dir erstmal die Baustelle«, sagt er, während er sich die Staubmaske abnimmt.
Wir gehen am neugebauten Tresen vorbei zu den neuen Toiletten. Hier wird gerade
fleißig gearbeitet, an den Wänden sind bereits diverse Mosaike zu sehen, ein
schwarzer Stern, der Maulwurf aus der Sendung mit der Maus. »Das sieht ja schon
super aus«, sage ich, und Robin antwortet: »Naja, wir müssen uns ein bisschen
ranhalten. Bis zur Sommerbaustelle muss das alles fertig sein, weil die
Wandergesellen und Wandergesellinnen dann hier die Klos und die Duschen nutzen
sollen. Da ist noch einiges zu machen.« Okay, Sommerbaustelle,
Wandergesell_innen - da werde ich noch nachhaken müssen.
Der alte Kasten mit dem heruntergekommenen Charme
Aber
zunächst gehen wir weiter durch den Anbau, der bereits fertig ist. »Das hier
wird der neue Eingang«, erklärt mir Robin. »Und hier kommt dann der Aufzug für
Rollifahrer hin.« Wir gehen weiter nach draußen, in den kleinen Hof hinter der
Flora. Robin deutet auf den fertiggestellten Anbau. »Der ist jetzt in einer von
vier Probefarben gestrichen. Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, wie lange
darüber diskutiert wurde.« Ja, das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. Und
dabei geht es hier erstmal nur um die Farbe eines kleinen Anbaus. Die
Wandergesell_innen, von denen Robin bereits sprach, wollen im Sommer unter
anderem die Fassade erneuern - da wird eine neue Farbgebung wohl kaum
ausbleiben. Die Rote Flora, der alte Kasten mit dem etwas heruntergekommenen
Charme wird also bald auch von außen ganz anders aussehen. Bei solchen Themen
können die Emotionen in kollektiven Projekten durchaus mal hochkochen. 50
Wandergesell_innen wollen kommen, zusammen mit weiteren Helfer_innen bilden sie
die Sommerbaustelle. Vier Wochen lang arbeiten sie alle unentgeltlich. Wohnen werden
die Gesell_innen dann in der Roten Flora, denn die bleibt in der Zeit
geschlossen.
Wir gehen
ein Stück weiter um das Gebäude zur Hinterseite mit einem kleinen Anbau aus den
1990er Jahren und einer Terrasse. »Ich weiß gar nicht genau, ob das hier so bleibt.
Warte, ich hol mal Vitali.« Bei uns angekommen, schüttelt Vitali gleich den
Kopf: »Nee, das bleibt erstmal so. Nur der obere Teil, der wird wahrscheinlich
neu gemacht.« Wir unterhalten uns ein wenig über die Schwierigkeiten
kollektiver Entscheidungsprozesse. Vitali ist von der Baugruppe, die seit
ungefähr eineinhalb Jahren den Seitenflügel mit der ehemaligen Vokü umbaut.
»Das war am Anfang nicht leicht, viele sind erstmal skeptisch, wenn man größere
Veränderungen vorschlägt«, sagt er. »Und das, was wir jetzt hier machen,
betrifft ja das ganze Nutzungskonzept.«
Mit dem Umbau eröffnen sich neue Möglichkeiten
Eine Idee,
die ich ziemlich gut finde. Bislang gibt es nur eine Möglichkeit, in die Flora
zu kommen. Durch den Seiteneingang. Egal, ob man in das Archiv der Sozialen
Bewegung, zu einem Konzert im Keller, in der großen Halle oder im Leoncavallo
möchte oder ob man eine Veranstaltung im ersten Stock besuchen oder in die Vokü
gehen will - immer führt der Weg durch diesen einen Eingang. Wer also zum Beispiel
ins Café möchte, muss erstmal klingeln - so wie ich heute -, hoffen, dass
jemand aufmacht und dann einmal quer durch das Gebäude. An Toiletten gibt es
einzig die Partyklos - und die sehen auch entsprechend aus.
Mit der
Erweiterung durch den Anbau ändert sich das. Künftig wird es möglich sein, das
Café durch einen neuen Eingang an der anderen Seite der Flora zu betreten.
Hinter dem Tresen gibt es eine Küche mit Durchreiche und die neuen Toiletten.
Darüber ist eine Decke eingezogen und dadurch eine weitere Ebene mit einem
Tagungs- und Besprechungsraum für politische Gruppen entstanden. Zum neuen
Eingangsbereich gehört auch eine Treppe, sowohl in den Keller als auch zu dem
neuen Gruppenraum und weiter in den ersten Stock des Gebäudes, wo sich unter
anderem das Archiv der Sozialen Bewegung befindet.
Dadurch wird
es möglich, einzelne Teile der Flora separat zu benutzen, während die große
Halle geschlossen bleibt. Und das könnte eben auch bedeuten, die Flora für mehr
Menschen zu öffnen und nutzbar zu machen - für Veranstaltungen, Lesungen,
Theateraufführungen, Ausstellungen usw. Denn bislang kostet es viele Menschen -
außerhalb der großen Konzert- und Partyveranstaltungen - große Überwindung, das
Gebäude zu betreten.
Mich
überzeugt das, und daher bin ich etwas irritiert, als mir die beiden erzählen,
dass das trotzdem alles gar nicht so einfach ist, dass es da durchaus immer
wieder lange Diskussionen gibt. »Die Leute sind zum einen skeptisch, wenn es
darum geht, das äußere Erscheinungsbild zu verändern«, erklärt mir Vitali. »Die
denken: Erkenne ich die Flora danach überhaupt noch wieder? Das andere betrifft
die veränderte Nutzung: Was sind denn das dann für Leute, die hier reinkommen?
Wollen wir die überhaupt?« Ich erinnere mich an die Galão trinkenden Hippster
von gegenüber. Nagut, wenn diese Leute plötzlich alle in der Flora rumhängen
... Aber das ist ja Quatsch - eine feindliche Ãœbernahme durch die
Schanzenjuppies scheint mir mehr als unwahrscheinlich.
Hoffentlich
siegt am Ende nicht die Angst vor Veränderungen. Denn die 50 Gesell_innen haben
im Sommer Großes vor. »Die wollen zunächst die Fassade instand setzen, dann
wird es einen neuen Dachabschluss geben und der Balkon vor der Flora saniert.
Außerdem wird die Decke im Leoncavallo erneuert und das Treppenhaus von Grund
auf überholt«, erzählt Vitali und grinst: »Und dann haben wir noch so acht
weitere Punkte. Aber da gucken wir mal, wie viel Zeit, Geld und Kapazitäten am
Ende übrig bleiben.« Und das alles innerhalb von vier Wochen? »Das ist
natürlich ganz schön ambitioniert. Ein so großes Bauvorhaben ohne staatlich
kontrollierte Gelder hat es meines Wissens das letzte Mal in den 1980er Jahren
in der Hafenstraße gegeben.«
»Hey, ist
Vitali da?«, ruft ein junger Mann zu uns herauf. » Wir haben hier ein paar
OSB-Platten für die Bühne von der Hafenvokü beim Hafengeburtstag. Können wir
die erstmal bei euch unterstellen?« Klar, kein Problem, Projekte helfen sich
schließlich gegenseitig. »Drinnen ist Folie, da könnt ihr euch ein Stück von
holen.« Wegen des Hamburger Wetters, versteht sich.
Zurück im
Gebäude zeigt Vitali mir eine Mappe. Die Flora im Wandel der Zeit. Das
»Gesellschafts- und Concerthaus Flora« wurde 1889 eröffnet, 1890 wurde es um
eine Konzerthalle erweitert: Im Garten hinter dem Gebäude entstand eine
Stahl-Glas-Halle, der sogenannte Crystallpalast. Damals hatte die Flora zwei
Stockwerke und ein Dachgeschoss. Im Nationalsozialismus wurde das Gebäude
nochmals umgebaut und auch die Fassade verändert. In den 1950er und 1960er
Jahren diente die Flora als Kino, später vermietete sie die Sprinkenhof AG an
das Discountunternehmen 1000 Töpfe. 1974 wurden das Dachgeschoss und das zweite
Obergeschoss abgetragen und durch ein Flachdach ersetzt. Denn die für eine
Sanierung der beiden oberen Geschosse notwendigen rund 300.000 DM erschienen
der Finanzbehörde seinerzeit zu teuer.
Vor über 25 Jahren wurde die Rote Flora besetzt
Als die
Flora zugunsten eines neuen Gebäudes für das Musical Phantom der Oper
abgerissen werden solle, bildete sich Widerstand. Dieser konnte jedoch nicht verhindern,
dass im April 1988, der denkmalgeschützte Crystallpalast widerrechtlich
abgerissen wurde. Der Widerstand gegen die Baustelle und das Bauvorhaben blieb
jedoch bestehen, und die Flora wurde am 1. November 1989 für besetzt erklärt.
Seitdem
sieht sie - mehr oder weniger - so aus wie heute. Hier und da veränderte sich
mal die Farbe, sie wurde repariert und teilweise in Stand gesetzt, insbesondere
nach einem Brand im November 1995. Nun soll die alte Dame eine Rundumerneuerung
bekommen. Vitali deutet auf eine Bauzeichnung. »Die ist ganz aktuell, und es
ist die erste vollständige Ansichtszeichnung seit 1936.« Ich betrachte die
Zeichnung und frage: »Und die kleinen Lautsprecher neben den Fenstern, die
kommen dann da auch hin?« »Nee, die sind da doch schon die ganze Zeit, das ist
die alte KB-Anlage.« Ich bin überrascht, und das nicht nur, weil mir die noch
nie aufgefallen sind. »Ich dachte, die liegt bei uns im Keller.« Schließlich
war ak ja mal vor langer, langer Zeit Organisationszeitung vom KB, dem Kommunistischen
Bund.
Robin
erzählt mir von der Kampagne Sommerbaustelle. »Wir sind nicht die Baugruppe,
sondern wir haben uns konkret zusammengetan, um die Sommerbaustelle möglich zu
machen.« Nun ist aber noch gar nicht Sommer, und Robin steht trotzdem in Bauklamotten
vor mir. »Ja, natürlich arbeiten wir auch jetzt schon auf der Baustelle mit.
Aber eigentlich konzentrieren wir uns auf die Kampagne.« Die Zusammenarbeit
scheint also eher fließend zu sein.
Aber die
Kampagne Sommerbaustelle versucht nicht nur, das bevorstehende Bauvorhaben zu
organisieren und die Infrastruktur zu stellen. Sie versuchen vor allem,
Öffentlichkeit herzustellen - denn so ein Vorhaben kostet eine Menge Geld,
Geld, dass rein aus Spenden zusammenkommen soll. Beispielsweise haben die
Kiezhelden, also die soziale Seite des FC St. Pauli, eine Spendenaktion
gestartet. »Allerdings bleibt das etwas hinter unseren Erwartungen«, sagt
Robin. »Ich glaube, wir haben bislang nicht gut genug vermittelt, wofür wir das
Geld brauchen.« Also mir ist das nach einem Nachmittag auf der Baustelle
durchaus klar. Allein, was so viele Leute in einem Monat an Verpflegung
brauchen ... und da hat man noch keinen Stein angefasst.
Als ich
wieder draußen vor der Flora auf dem Achidi-John-Platz stehe, gucke ich mir den
alten Kasten nochmal genau an. Und wirklich: Oben an den Fenstern hängen die
Lautsprecher der alten KB-Anlage.
Anmerkung:
Spenden für
die Sommerbaustelle und weitere Infos unter www.florabaut.noblogs.org.
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