Eine Welle der Hilfsbereitschaft durchzieht nicht nur unser Hamburg. Viele Menschen schauen nicht mehr weg, sondern wollen den Flüchtlingen helfen. Da ist etwas in Gang gekommen, dass auch dem gesamtgesellschaftlichem Klima zu Gute kommen wird. Die Hetze gegen Flüchtlinge scheint nicht mehr so zu verfangen, wie es bestimmte Kreise gerne hätten, weil es immer häufiger zu direkten, persönlichen Begegnungen mit Flüchtlingen kommt.
Wir engagieren uns schon seit einiger Zeit für Flüchtlinge und haben nie viel darüber gesprochen, weil es für uns selbstverständlich ist, sich hier zu engagieren. Das ist unsere Einstellung.
Seit ein paar Tagen arbeite ich für Fördern und Wohnen im Zeltlager Jenfelder Moor, das immer wieder Thema in der Presse war.
Nun habe ich einen Artikel zum Thema Flüchtlinge in der TAZ gefunden, der mir hilft unser Engagement einzuordnen. Ich möchte diesen Artikel hier zur Diskussion stellen, weil er viele wichtige Fragen zum Thema Unterstützung von Flüchtlingen anpackt.
Das Resümee kann ich unterschreiben. Der persönliche Kontakt ist das zentrale Element.
Zum Artikel:
Helfen als Lebensgefühl
Die Ankunft von immer mehr Flüchtlingen hat zu einer
beispiellosen spontanen Hilfsbereitschaft geführt. Doch am besten sind echte
soziale Beziehungen.
http://taz.de/Willkommenskultur-im-Norden/!5225434/
Wohin man schaut, wird in diesen Tagen zur Hilfe für
Flüchtlinge aufgerufen und wohin man schaut, folgen Menschen diesem Aufruf. Im
Lichtenhagen-Land. In einer Woche, in der das Innenministerium eine bislang
nicht vorstellbare Dimension ankommender Flüchtlinge prognostiziert. In der
Summe ist diese Hilfe ein riesiger Sprung nach vorn für das gesellschaftliche
Klima. Im Einzelfall ist sie mal bitter nötig und berührend, mal überflüssig,
mal hintersinnig – und manchmal abstoßend.
Die Frage ist dabei nicht, ob die Helfer selbst etwas von
ihrer Hilfe haben. Die Frage ist: Was haben die Flüchtlinge davon? Und: Haben
die Helfer den Anspruch, die Ungleichheit, die jeder Hilfe eingeschrieben ist,
zu überwinden?
Da gibt es zum Beispiel den Immobilienunternehmer, der
letzte Woche sein Konzept für besonders bewohnerfreundliche Flüchtlingsheime
präsentierte. Sie heben sich tatsächlich wohltuend von dem ab, was in dem
Bereich leider üblich ist. Er wettert gegen schwarze Schafe im Heim-Business wie
die Firma, mit der Schweiger zunächst ein eigenes Flüchtlingsheim bauen wollte –
und erklärt gleichzeitig völlig ungeniert, die „junge Flüchtlings-Industrie
lowckt mit traumhaften Renditen von bis zu 20 Prozent pro Jahr“.
Da gibt es eine große Zeitung in Hamburg, die sich lange
Jahre kein Stück daran gestört hat, dass Hamburg im Bundesländer-Vergleich ein
herausragend herzloses Abschieberegime betrieben hat. Im Juli nun ruft sie zur
Spendenabgabe für Flüchtlinge auf, voller Rührung lobt der Chefredakteur erst
die „Spendenstadt Hamburg“ – und dann die Polizei, die den „Ausnahmezustand“ auf
der Straße vor dem Verlagsgebäude managen musste.
Distinktionsgewinn als Lohn
Da steckt eine der reichsten Städte Europas über 1.000
Flüchtlinge in eine Messehalle, eine sonst eher bei Vulkanausbrüchen oder nach
Erdbeben gängige Praxis. Zu einer Versammlung, um Hilfe für die neuen
Hallenbewohner zu organisieren, kommen Hunderte Menschen. In einer halben
Stunden gründen sie 16 AGs. Sie wollen alles richtig machen, sie wollen die
besten sein bei der Flüchtlingsunterstützung. Der Lokalblog St.-Pauli-News
schreibt: „Das kann nur St. Pauli.“ Der Lohn heißt Distinktionsgewinn. Die
Helfer hier aber beschränken sich nicht auf AGs „Deutschunterricht“, „Sport
& Spaß“ oder „Kleiderkammer“, sondern verfassen auch eine Resolution namens
„Never mind the papers!“. Welchen Aufenthaltsstatus die europäische
Flüchtlingspolitik den Menschen zuweise, „interessiert uns nicht“, heißt es
darin. „Wer hier angekommen ist, gehört dazu und bleibt.“
Da gab es die BürgerInnen im Hamburger Stadtteil
Ohlstedt, die in nur einer Woche dutzende Kinderbetten sammeln, damit keine
alleinstehenden Erwachsenen, sondern Familien in das Zeltlager in ihrem
Stadtteil kommen. Weiter gingen Anwohner in Harvesterhude: Sie agitierten gegen
ein geplantes Flüchtlingsheim, mit der Begründung, in dem Nobelstadtteil gebe es
nicht genug günstige Supermärkte. Ähnlich verfahren vor allem in Ostdeutschland
immer öfter Bürgerinitiativen aus dem AfD- Spektrum oder von noch weiter rechts:
Sie sagen nicht, dass sie gegen Flüchtlinge sind, sondern vielmehr für gute
Unterbringung. Und die ist, selbstredend, in der eigenen Stadt nicht
möglich.
Und es gibt Fälle wie die ältere Dame aus einem
engagierten Helferkreis, die kürzlich von Flüchtlingen gebeten wurde, bei einer
Aktion zu Fluchtursachen und Rüstungsexporten mitzumachen, ihnen aber lieber
schrieb: „Wir engagieren uns gerne für Menschen hier, die Hilfe brauchen, jedoch
lassen wir uns nicht unterordnen unter politische Aktionen.“
Sozialleistungen sind sicherer
Anders als oft getan wird, gibt es keinen ideellen
Gesamtflüchtling, in dem die Interessen aller zusammenlaufen. Manche
verabscheuen Deutschland für seine Flüchtlingspolitik, andere sind dafür
dankbar. Beides ist legitim. Manche wollen kämpfen, andere wollen einen
Ventilator. Den kann man ihnen geben. Aber dabei, und das gilt für jede Hilfe,
darf es nicht bleiben. Für die materielle Versorgung ist der Staat zuständig.
Daran ist nicht zu rütteln.
Materielle Hilfe darf sich immer nur als Korrektiv
verstehen – und muss entsprechend politisch flankiert sein. Agieren Helfer
anders, verabschieden sie sich vom Anspruch gleicher Rechte. Stattdessen machen
sie Flüchtlinge abhängig von willkürlicher Wohltätigkeit. Die ist gerade en
vogue, kann aber schon morgen abflauen. Sozialleistungsansprüche sind vielleicht
nicht sicher vor der CSU, die den Flüchtlingen das Taschengeld kürzen will, aber
allemal stabiler als die Lust der Spendensammler.
Antiserum gegen Fremdenhass
Es gibt aber etwas, das der Staat nicht kann. Und das ist
vermutlich das Wichtigste, wenn es darum geht, sich hier ein neues Leben
aufzubauen: Tatsächliche soziale Integration. Dafür ist persönlicher Kontakt
unersetzlich. Er ist wichtiger als reparierte Fahrräder und Theaterprojekte, als
Zahnpastaspenden und Ventilatoren. Echte soziale Beziehungen sind Meta-Hilfe.
Sie wirken potenziell auf alle Bereiche.
Natürlich sind soziale Beziehungen erst recht
willkürlich, erst recht ungerecht verteilt. Sie beruhen oft auf Sympathie, auf
Glück oder, ja, auf Mitleid. Das liegt in der Natur der Sache. Trotzdem ist das
wohl Beste an der ganzen Hilfswelle, dass die Leute mit Flüchtlingen in Kontakt
kommen. Genau das sind sie zu lange nicht. Und das ist, so darf man annehmen,
auch der Grund dafür, warum Pegida und andere es trotz der hohen Zahlen von
Neuankömmlingen schwer haben: Weil immer mehr Menschen Flüchtlinge kennenlernen,
und die Propaganda deshalb bei ihnen nicht mehr verfängt. Die persönlichen
Kontakte sind wie ein Antiserum für Fremdenhass. Bislang scheint es zu wirken.
So, wie die Dinge liegen, sollte die Dosis nicht verringert werden.
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