Liebe Leserinnen und Leser.
Seit einiger Zeit arbeite ich für Fördern und Wohnen im Flüchtlingscamp im Jenfelder Moorpark.
Ich darf Teil eines engagierten Teams überwiegend jüngerer Kollegen sein, Mit der wunderbaren Unterstützung vieler Ehrenamtlicher, mit einer Spendenbereitschaft von Firmen und Einzelpersonen und mit der tollen Hilfe der Kleiderkammer Messehallen versuchen wir etwas "Menschenwürde" in das Camp zu bringen. Das ist in meinen Augen angesichts der Unterbringung in Zelten eine Art Paradoxum, aber wir tun, was wir können, denn es scheint momentan keine Alternative zu geben.
Ich sehe in der Flüchtlingsfrage eine Chance Richtung Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, die sich in Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Solidarität ausdrückt. Das ist unsere Chance!
Eine Veränderung des Klimas wird sich auch positiv auf unser Zusammenleben auswirken. Das gilt es zu entwickeln.
Auch aus diesem Grund veröffentliche ich die Erklärung von Fördern und Wohnen, die ich ohne Einschränkung so unterstützen kann:
Erklärung zur Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen in
Hamburg
Verfasst von Leitungskräften der Geschäftsbereiche Wohnen bei f
& w
Als Leitungskräfte von fördern und wohnen wenden wir uns heute an
die
Fachöffentlichkeit: Seit mehreren Jahren schon weisen wir auf die sich
verändernden Bedarfe der öffentlichen Unterbringung im Zusammenhang mit
der zunehmenden Zahl von Flüchtlingen hin. Insbesondere in Bezug auf
Kriegsflüchtlinge lässt sich sagen: Sie fielen nicht vom Himmel, sondern
es war voraussehbar, dass durch ausländische Einmischung mitverschuldete
Kriege in Afghanistan und in der arabischen Welt zu einer humanitären
Katastrophe führen mussten, die sich früher oder später auch auf
Mitteleuropa auswirken würde. Es hat aus unserer Sicht bundesweit und
auch in Hamburg zu viele Jahre gebraucht, bis die Sorge um die
Flüchtlinge und die Auswirkungen ihres Elends auf unsere Gesellschaft
die Spitzen der Politik erreichten und in Handlungen übersetzt
wurden.
Jetzt besteht die Gefahr, dass durch überstürztes Handeln und das
Fehlen
eines ganzheitlichen Konzepts für die ordentliche Unterbringung
Hilfebedürftiger die Verbesserungen zerstört werden, die wir in Hamburg
gemeinsam, unterstützt durch eine wohlwollend-kritische Öffentlichkeit,
in den letzten 25 Jahren bei der Unterbringung von Flüchtlingen und
wohnungslosen Menschen erreicht hatten.
Unsere Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter und wir selbst sind dennoch
weiterhin hoch motiviert, wenn es um
Hilfen für jene Menschen geht, die
auf Unterbringung angewiesen sind.Wir
tragen die jetzt erforderlichen
Notmaßnahmen schon deswegen mit, weil ohne
sie Tausenden Obdachlosigkeit
in unserer Stadt drohen würde. Diese
Notmaßnahmen - die Unterbringung in
Zelten, in Turnhallen, in Lagerhallen
oder in kaum umgebauten Büros -
sind jetzt jedoch nur zum Teil wegen des
Anstiegs des Flüchtlingsstroms
erforderlich. Die Versäumnisse der FHH sind
ein anderer Grund. In
Hamburg fehlt ein an die Erfahrungen der neunziger
Jahre angelehntes
strategisch angelegtes Gesamtkonzept für die öffentliche
Unterbringung
von der Aufnahme bis zur Integration in
Mietwohnraum.
Auch nach dem voreiligen und radikalen Abbau unserer
Kapazitäten 2001
bis 2010, der im Wesentlichen Sparvorgaben folgte, entstand
kein
integrierter, auf alle Eventualitäten ausgerichteter Plan von kurz-,
mittel- und langfristigen Maßnahmen, um die öffentliche Unterbringung
von Wohnungslosen und Flüchtlingen bedarfsgerecht und vorausschauend zu
steuern. Die Verknüpfung mit dem Bau neuer öffentlich geförderter
Wohnungen unterblieb fast vollständig. In unseren Unterkünften leben
Tausende zum Teil schon seit Jahren, die längst Wohnungen hätten
beziehen können. An die SAGA als städtischem Vermieter gerichtete
Forderungen wurden immer wieder abgeblockt.
Wir erklären deswegen:
Notmaßnahmen, die darin gipfeln, dass alle
bisherigen Standards der
öffentlichen Unterbringung über Bord geworfen
werden, stören den sozialen
Frieden in den Unterkünften und senken
dramatisch die Akzeptanz dieser
Einrichtungen und ihrer Nutzer. Die
Sozialverträglichkeit einer solchen
Unterbringung ist weder nach innen
noch nach außen gegeben. Die Notmaßnahmen
verstoßen gegen geltende
Auflagen und gesetzliche Vorschriften,
beispielsweise gegen
Hygieneauflagen gemäß Infektionsschutzgesetz. Eine
Absenkung oder
Missachtung von Mindeststandards der sanitären Einrichtungen
in
Notstandorten kann in der Folge in Nachbarschaften Fremdenfeindlichkeit
befördern, wenn in Ermangelung ausreichender Versorgung das Verhalten
der Flüchtlinge gezwungenermaßen Folgen für die Quartiere hat. Deswegen
sind diese Notmaßnahmen nur dann gerechtfertigt und für uns tragbar,
wenn sie klar befristet und eingebettet sind in einen Gesamtplan für die
zügige Integration der Menschen in den Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Die
prekären Unterbringungsbedingungen müssen ein
definiertes Ende haben.
Ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept wird sich das
Hilfepotenzial der
amtlichen und ehrenamtlichen Helfer erschöpfen. Es
droht eine Ghettoisierung
der Flüchtlinge über Jahre. Werden
Notstandorte mit einer großen Zahl
verzweifelter Flüchtlinge das
Stadtbild dominieren, dann droht der
Stimmungsumschwung in unserer Stadt
zu Gunsten von mehr
Fremdenfeindlichkeit.
Eine perspektivlose Prekarisierung der öffentlichen
Unterbringung
entwertet unseren Anspruch an die Fachlichkeit unserer Arbeit.
Sie birgt
auch die Gefahr in sich, dass ein zuverlässiger und loyaler
öffentlicher
Träger sich verschleißt und seine öffentliche Aufgabe eines
Tages
privatisiert wird - unter Einsatz aller oft demagogischen Argumente
gegen öffentliche Unternehmen.
Zu befristende Notmaßnahmen müssen
begleitet werden unter anderem durch
den sofortigen Bau von 10.000
zusätzlichen öffentlich geförderten
Wohnungen, die in zwei Jahren fertig
sein und Flüchtlings- und
Wohnungslosenfamilien zur Verfügung stehen müssen.
Wohnungsleerstände
der SAGA müssen umgehend zur Verfügung gestellt werden.
Der soziale
Frieden in unserer Stadt verlangt auch, dass die auf preiswerten
Wohnraum angewiesene Hamburger Bevölkerung nicht mit Flüchtlingen und
Wohnungslosen in eine Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum eintritt und
Bedarfsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deswegen ist auch
das reguläre öffentliche Wohnungsbauprogramm drastisch zu
steigern.
Wir sind sehr in Sorge um die öffentliche Unterbringung und
unsere
Fähigkeit, diese auch künftig sozialverträglich zu
gestalten.
Hamburg, 1.10.2015
Martin Leo Till Kobusch Melanie
Anger Torsten Grube Jonte Plambeck Jan
Wrzeszcz Beate Schmid-Janssen Katrin
Wollberg Franziska Amaraegbu
Hans-Jürgen Schinowski
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